Der Teufel von Herrenhausen
Zeitverschwendung.«
Sie sah ihn
forschend an, während er nachdenklich den letzten Bissen seines Brötchens in
den Mund schob.
»Gibt’s was Neues
von deinem Verschwundenen?«
Bergheim
schüttelte den Kopf. »Er muss irgendwann nachmittags noch mal weggegangen sein
und den Computer mitgenommen haben. Das tat er aber für gewöhnlich nicht. Hat
ihn immer nur zu Hause benutzt. Jedenfalls sagen das seine Eltern. Keiner weiß,
wo er hingegangen ist. Entweder hat ihn jemand an dem Abend entführt oder sonst
was mit ihm angestellt, oder er will sich irgendwo verborgen halten. Die Frage
ist dann bloß, warum.«
Charlotte streckte
sich und gähnte. »Vielleicht hat er was verbrochen.«
»Eher nicht«,
sagte Bergheim. »Die Eltern schwören Stein und Bein, dass der Junge nie
Schwierigkeiten hatte. Und die Lehrer bestätigen das. Keiner kann sich
vorstellen, dass der Junge mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein könnte.«
Bergheim sah
gedankenverloren aus dem Fenster in die Wipfel der üppigen Bäume, die die
Waterloostraße säumten. »Ich hoffe bloß…« Er vollendete den Satz nicht, aber
das war auch nicht nötig. Charlotte verstand ihn auch so.
»Ein
Fünfzehnjähriger ist nicht hilflos. So leicht würde der es einem Angreifer
nicht machen, und du weißt ja selbst … Teenager sind unberechenbar. Da ist alles
möglich, egal, was die Eltern sagen.«
Bergheim lächelte
sie dankbar an. »Da hast du wohl recht. Und ich hoffe, dass die Eltern in
diesem Fall unrecht haben und ihr Sohn tatsächlich was verbrochen hat und
abgehauen ist. Über die Alternativen will ich gar nicht nachdenken.«
Er lehnte sich
zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Übrigens«, sagte
er dann und fingerte einen Zettel aus seiner Jackentasche. »Wenn Ostermann
schon nichts Nützliches beisteuern kann, dann aber Frau Kaiser. Ich habe wie
üblich getan, was du mir aufgetragen hast, und die liebe Chefsekretärin mal
nach einer Kollegin gefragt, die in Sehnde Buchhaltungskurse gibt und bei der
Allianz arbeitet. Und siehe da, es hat sie nur einen Anruf gekostet. Sehr
effizient und freundlich, unsere Frau Kaiser.«
Charlotte verzog
den Mund. »Wusste ich’s doch, für dich tut sie alles. Möchte nicht wissen, was
passiert wäre, wenn ich sie mit so was behelligt hätte.«
Bergheim grinste
und reichte Charlotte den Zettel. Die kniff die Augen zusammen. »Mein Gott, was
für eine Klaue. Was soll das heißen, Veronika Peier?«
»Dreier«, kicherte
Bergheim. »Wir mussten uns beeilen.«
»Du und deine
Assoziationen«, feixte Charlotte und griff zum Telefon. Während sie die Sehnder
Nummer von Veronika Dreier eintippte, klingelte Bergheims Handy. Beide sahen
sich schweigend an. Charlotte hörte zu, was ihr der Anrufbeantworter von Frau
Dreier mitzuteilen hatte, als Bergheim aufsprang.
»Atmet sie?«, rief
er in den Hörer.
Charlotte sprang
ebenfalls auf.
»Ruf den Notarzt!
Vivian liegt bewusstlos in unserer Wohnung«, sagte Bergheim zu Charlotte, die
sofort wählte, und brüllte dann schon wieder in sein Handy. »Du musst sie
beatmen, bis der Notarzt kommt. Ich bin in zehn Minuten da!«
Bergheim stürmte
bereits zum Ausgang, und Charlotte, die ihre Adresse durchgab, fragte sich, wie
er den Weg um diese Zeit in zehn Minuten schaffen wollte.
Charlotte war mit
der U-Bahn kurz nach sieben nach Hause gekommen, nachdem sie von Frau Dreier
gnädigerweise einen Termin für den morgigen Samstag bekommen hatte. »Heute
Abend muss ich auf den Polterabend meiner Nichte. Da werde ich gebraucht. Sie
verstehen?«
Charlotte verstand
nicht, sagte aber zu. Sie verstand nur, dass sie zum zweiten Mal auf dem Balkon
saß und wartete, während Bergheim für die weibliche Nachbarschaft den Retter
spielte. Nicht mal Jan war zu Hause.
Charlotte seufzte
und ging in die Küche, um irgendwas zu essen.
Auf dem
Küchentisch lagen zwei verschmierte Messer, die sie unwillig in den leeren
Spülautomaten steckte. Dann öffnete sie den Kühlschrank, nahm Butter, Käse und
Schinken heraus und suchte dann nach einem Messer. Nicht in der
Besteckschublade natürlich. Ach ja, Charlotte öffnete den Schrank und wühlte in
den Geschirrtüchern. »Verdammt«, murmelte sie, »der Bengel hat die Messer
gefunden und hortet sie.«
Fragte sich nur,
wo, hoffentlich nicht in seiner Deponie. Stirnrunzelnd trommelte sie mit den
Fingern auf die Arbeitsplatte. Na warte, sagte sie sich. Ich werd mir schon was
einfallen lassen. Wollen doch mal sehen, wer hier das letzte Wort
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