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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ausgeschaltet.«
    »Weshalb?«
    »Weil ich vergessen habe, es wieder einzuschalten. Was wolltest du?«
    »Wissen, wie es dir geht.«
    »Gut.«
    »Sicher? Du klingst nicht so.«
    »Wie klinge ich denn?«
    »So, wie du klingst, wenn es dir beschissen geht.«
    Sonia schaute sich in ihrem Zimmer um. Die Tür des überfüllten Kleiderschranks stand offen. Der Sessel war besetzt von einem ihrer beiden Koffer. Auf dem Boden verstreut lagen ihre nassen, verschmutzten Kleider. »Ein bißchen müde, das ist alles.«
    »Müde wovon?«
    »Der Höhenunterschied. Und die Wanderung.«
    »Wanderung? Bei uns schifft’s.«
    »Siehst du.«
    »Und? Wie ist dein Zimmer?«
    »Hübsch.«
    »Das klingt klein.«
    »Das Bad ist riesig.«
    »Und die Leute?«
    »Scheinen in Ordnung.«
    »Und das Essen. Mein Gott, muß man alles fragen?«
    »Im Dorf gibt es ein Restaurant mit rhätoasiatischer Küche.«
    »Rhätoasiatisch?«
    »Hirschcurry, pikante Reh-Satés mit Erdnußsauce.«
    »Klingt grauenhaft.«
    »Finde ich nicht. – Es hat geklopft. Ich muß Schluß machen.«
    »Wer klopft denn?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ruf mich zurück.«
    »Okay.«
    »Aber sicher.«
    »Sicher.«
    Sonia legte auf. Sie ging ins Bad zurück, zog den Stöpsel aus der Wanne, legte das Tuch über den Vogelkäfig und machte Licht. Sie warf einen Blick in den Spiegel. Vielleicht sollte sie sich um ihr Haar kümmern.

3

    Der Nebel hing noch immer tief, aber es hatte aufgehört zu regnen. Von Gian Sprechers Haus aus konnte man jetzt bis hinunter zum Gamander sehen. Er saß auf der Bank vor dem Stall und hielt den alten Militärfeldstecher vor die Augen.
    Seit gestern kamen Gäste an. Vor ein paar Minuten ein Renault Espace. Ein Mann und eine Frau stiegen aus und drei, nein: vier Kinder. Teurer Spaß, mit vier Gofen in einen solchen Kasten.
    Der Jugo kam ihnen entgegen, Uniformmütze, grüne Schürze, wie richtig. Der Vater öffnete die Hecktür und fing an, das Fahrzeug zu entladen. Der Jugo half ein bißchen. Aber die schwersten Stücke trug der Vater. Ich an dem seiner Stelle würde keinen Finger rühren, bei über dreihundert Franken das Zimmer. Pro Tag!
    Die ganze Familie schleppte Gepäck. Vom Eingang her kam ihnen die Junge entgegen. Sie deutete auf den Jugo und sagte etwas. Wahrscheinlich, daß der dafür bezahlt werde, die Koffer zu schleppen. Der Gast lachte und antwortete etwas. Wahrscheinlich, daß die Koffer überhaupt nicht schwer seien. Jetzt stellte er sie ab und gab der Jungen die Hand. Der Jugo hatte unterdessen zwei Koffer reingetragen und kam wieder heraus, um die des Mannes zu holen.
    Sprecher packte den Feldstecher wieder in das speckige Lederetui und hängte es an seinen Nagel an der Stalltür. Dann begann er auszumisten. Kopfschüttelnd.
    Schon während der Effleurage war ihr klar, daß ihr Madame Lanvin zuwider war. Effleurage hieß die Technik, mit der man die klassische Massage beginnt und beendet. Und eine klassische Massage war alles, was sie sich heute zumuten wollte. Für ihre Spezialität, die Kombination von klassischer Massage mit Shiatsu, ging es ihr nicht gut genug. Das war die erste Lektion ihrer Shiatsu-Meisterin gewesen: Wenn du nicht in deinem Hara bist, kannst du kein Shiatsu machen. Und Sonia war alles andere als in ihrem Hara. Sie hatte geträumt, daß jemand sie einen Wasserfall hinunterstieß. Sie klammerte sich mit schwindender Kraft an einen Ast, und neben ihr toste das Wasser in die Gischt tief unter ihr. Als sie mit einem Schrei erwachte, ging das Tosen weiter. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr klar wurde, daß es der Wind war, der in den Blättern der Birke vor ihrem Fenster rauschte.
    Danach war sie lange wach gelegen und hatte an ihre erste Behandlung gedacht. Morgen, sechzehn Uhr, Madame Lanvin.
    Sonia hatte seit Jahren keine Massagen mehr gemacht. Wenn man von denen für Frédéric absah, die im Laufe ihrer Ehe immer seltener geworden waren.
    Normalerweise spielte das keine große Rolle. Sie könnte tun als ob. Die Patienten merkten das gewöhnlich nicht. Aber eine, die eigens aus Belgien angereist war und gleich für den ersten Tag eine Behandlung buchte, ging bestimmt gewohnheitsmäßig zur Massage und ließ sich nichts vormachen.
    Bis die Birkenäste Gestalt anzunehmen begannen und die ersten Vögel sangen, hatte Sonia die Bilder der Grundtechniken aus ihrem Lehrbuch von damals abgerufen. Dann war sie in einen unruhigen Schlaf gefallen, aus dem sie viel zu früh und wie gerädert erwacht war.
    Madame Lanvin lag auf

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