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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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dem Bauch und war bis zur Körpermitte mit einem Frottiertuch zugedeckt. Sonia hatte die gespreizten Finger oberhalb des Gesäßes links und rechts der Wirbelsäule gelegt und sollte die Patientin nun mit kräftigen Streichungen über Rücken und Schulterblätter mit ihren Händen vertraut machen.
    Aber Madame Lanvin hatte quer über dem Rücken einen tiefen geröteten Abdruck ihres BH s. Aus irgendeinem Grund konnte Sonia diesen nicht berühren. Wie damals, als sie ein kleines Mädchen war und unter keinen Umständen auf die Fugen zwischen den Steinplatten treten durfte.
    Sie strich mit beiden Händen zögernd nach oben. Kurz vor dem Abdruck hob sie sie an und ließ sie auf der andern Seite wieder sinken. So ging es einigermaßen.
    Das war ihr früher nie passiert. Sie wußte zwar aus ihrer Ausbildungszeit, daß es Leute gab, die sich vor Patienten ekelten. Ein paar ihrer Studienkolleginnen hatten die Ausbildung deswegen nach dem ersten Semester aufgegeben. Aber sie selbst hatte damit nie Probleme gehabt.
    Madame Lanvin war keine abstoßende Erscheinung. Sie war etwas über vierzig, weder fett noch mager, weder ungepflegt noch ungesund. Sie hatte keine Hautprobleme und auch keine unangenehme Ausdünstung. Es waren nur dieser rötliche Textilabdruck und diese scharf umrissene Prägung eines BH -Verschlusses auf der blassen, ölglänzenden Haut, die Sonia zu schaffen machten. Sie schloß die Augen und versuchte, sich Madame Lanvin wegzusuggerieren.
    Aber die stieß einen leisen, wohligen Seufzer aus und war wieder da. Sonia deckte ihre Rückenpartie zu und entblößte ihre Beine. Sie legte beide Hände auf die Fesseln der Frau und strich über Wade und Kniekehle bis zum Ansatz des Oberschenkels. Dort spürte sie die Stoppeln der nachwachsenden Beinbehaarung und zog die Hände wie elektrisiert zurück.
    »Kommt das bei dir auch vor, daß du dich vor Patienten ekelst?«
    »Nur vor Patientinnen«, grinste Manuel.
    »Mir ist das früher nie passiert. Ich konnte das trennen. Klar, es gab immer welche, die ich nicht mochte, aber ich hatte nie Probleme damit, sie anzufassen.«
    Im Wellness-Personalraum gab es ein paar Schränke, eine Toilette, eine Dusche, ein Lavabo, einen Kühlschrank, ein Waschbecken, eine Teeküche, einen Fernseher. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit sechs Stühlen. An diesem saßen Sonia und Manuel und tranken Tee. Es gab nicht viel zu tun. Zwölf Gäste waren bis jetzt eingetroffen, und außer Frau Lanvin hatte sich noch niemand behandeln lassen.
    »Wenn sie stinken, dann habe ich Mühe. Ich habe mal einen zum Duschen geschickt.«
    »Die hat nicht gestunken. ›1000‹, Jean Patou. Ich konnte sie einfach nicht anfassen. Sie fühlte sich eklig an.«
    »Wie lange hast du nicht gearbeitet?«
    »Sechs Jahre.«
    »Dann bist du es einfach nicht mehr gewohnt, fremde Leute anzufassen.«
    »Du meinst, ich habe das jetzt bei allen?«
    »Ich kannte einen, der mußte den Beruf aufgeben. Deswegen. Jetzt ist er bei der Müllabfuhr.« Manuel mußte fürchterlich lachen. Sonia lächelte mit.
    »Ich habe ihn gefragt, ob das besser sei. Er hat gesagt, nein, aber er könne Handschuhe tragen.« Wieder lachte er.
    Am Abend nach dem Regenbogen war Sonia im Zimmer geblieben. Aber am nächsten Morgen hatte sie sich aufgerafft und war zum Frühstück ins Personalrestaurant gegangen. Dort war sie mit Manuel ins Gespräch gekommen, und weil sich beide etwas verlassen fühlten, hatten sie sich angefreundet.
    »Im Ernst: Wenn du sie nicht anfassen kannst, nehme ich sie. Mir macht es nichts aus.«
    »Und was sag ich ihr?«
    »Nichts. Das nächste Mal bin einfach ich da. Fertig.«
    »Und wenn sie nach mir verlangt?«
    »Wird sie nicht.«
    »Weshalb bist du dir da so sicher?«
    »Weil ich sie anfassen kann.«
    Das Handy signalisierte eine neue Nachricht.
was machst du
rhätoasiatisch essen
allein
mit kollegen und du
hanspeter
immer noch
wieder
machs gut
    Beim Büffet war eine kleine Schiebetür in die Arventäfelung eingelassen, durch die das Küchenpersonal die Gerichte schob. Von dort aus konnte man einen Teil der Gaststube überblicken.
    Peder Bezzola nahm die Kochmütze ab, öffnete die Schiebetür und beugte sich zur Durchreiche hinunter. Er mußte die Gäste sehen, die einmal rotes Hirschcurry, einmal Gems-Saté und einmal sautiertes Mistchratzerli mit Ingwer und gelben Chilis bestellt hatten. Es waren zwei Frauen und ein Mann. Gäste oder Angestellte des Gamander. Eher Angestellte, denn eine der Frauen sei schon

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