Der Teufel von Mailand
herausspringen.
Er ging zurück zum Waldrand, wo er den Einachser auf dem überwachsenen Holzweg abgestellt hatte. Eine weißliche Hochnebeldecke verwischte die Kontraste der frühen Morgenstunde. Sein Blick schweifte über das Tal und blieb lange am Gamander hängen. Wie unbewohnt stand der Kasten da.
Sprecher setzte sich auf den blankgewetzten Blechsitz und ließ den Motor an.
Wenn sie auf der Straße liegen, sind Geranienblüten wie Bananenschalen. Anna Bruhin kehrte sie zusammen. Vor ihrem Laden würde sich niemand den Hals brechen. Der Sturm hatte das Dorfbild übel zugerichtet. Noch gestern sah man vor lauter Blüten die Blumenkästen auf den Simsen nicht. Jetzt waren sie wie frisch aus dem Keller geholt. Sie faßte eine »Sonderaktion Geranien« ins Auge.
Den Blütenhaufen ließ sie im Rinnstein liegen, die Gemeindearbeiter sollten auch noch etwas zu tun haben.
Der Pajero von Reto Bazzell stand auf dem Parkplatz des Gamander. Den Tankanhänger hatte er zu Hause gelassen, die Sammeltour begann erst in einer Stunde. Reto saß hinter dem Steuer und rauchte einen Joint. Wunderbare Unterengadiner Bioware der letztjährigen Ernte, von ihm selbst angebaut.
Er hatte die Fenster geschlossen und die Anlage auf Autolautstärke gedrosselt. Ziggy Marley & The Melody Makers. »Look Who’s Dancin’«. Nicht so gut wie der Vater, aber o. k.
Von dieser Stelle des Gästeparkplatzes konnte er das Mansardenfenster sehen, das fast vollständig von einer Birke verdeckt war. Und er sah auch in den Wellness-Neubau hinein. Die Masseuse stand dort am Beckenrand und die Besitzerin und Casutt, der Nachtportier. Im Unterhemd.
Sonia war an die Rezeption gerannt und hatte Casutt geweckt. Nur kurz eingenickt sei er, murmelte er immer wieder auf dem Weg zum Pool, zwei, drei Minuten, höchstens. Erst als sie am Beckenrand standen, verstummte er.
Wie ein rotglühendes Mikado lagen die Stäbe übereinander auf dem Grund des türkis gefliesten Pools.
»Dimuni!« murmelte Casutt.
»Was ist es?« fragte Sonia.
Casutt erwachte aus seiner Erstarrung. Er zog das Jackett aus und warf es auf den Boden.
»Was haben Sie vor?«
Er zog die Weste aus.
»Sie können da nicht rein. Vielleicht explodiert es.«
Er öffnete den Krawattenknoten.
»Oder es ist giftig.«
»Es muß da raus, bevor sie kommt.« Casutt knöpfte das Hemd auf.
»Sie können das doch nicht verheimlichen.«
Er warf das Hemd auf den Boden und blickte sie erschrocken an. »Sie werden es doch niemandem erzählen?«
»Nein. Sie. Sie werden es erzählen.«
Casutt schüttelte den Kopf, bückte sich und öffnete die Schuhbändel.
Sonia legte ihm die Hand auf die Schulter. »So, jetzt sind Sie vernünftig. Wir gehen jetzt hier raus, schließen ab und wecken die Chefin.«
Casutt stieß ihre Hand weg und zog den linken Schuh aus.
In diesem Moment kam Barbara Peters herein. Sie trug einen Bademantel, nicht das Modell, das in den Zimmern hing, und wirkte frisch und ausgeschlafen. Als sie Casutt in Hose und Unterhemd sah, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie warf Sonia einen fragenden Blick zu.
Casutt wartete schicksalsergeben, bis sie selbst so nahe war, daß sie auf den Grund sehen konnte.
»Was ist das?«
»Ich wollte es gerade rausholen«, antwortete Casutt.
»Und wie kam es rein?«
Casutt hob die Hände und ließ sie wieder fallen.
Jetzt sah Sonia eine andere Seite von Barbara Peters. Ihr schönes, immer glückliches Gesicht wurde hart, und ihre freundliche, fast zärtliche Stimme scharf. »Wir sprechen uns noch. Holen Sie Igor. Und sorgen Sie dafür, daß kein Gast hier hereinkommt, bevor ich es sage!«
Casutt setzte sich in Bewegung.
»Aber ziehen Sie sich vorher an, mein Gott!«
Spöttisch sah sie zu, wie er seine Sachen zusammensuchte und sich anzog. Sonia bückte sich nach einem Schuh, der etwas abseits gelandet war, und brachte ihn zu ihm. Er nickte ihr dankbar zu.
Als er gegangen war, fragte Barbara Peters: »Hat er geschlafen, als Sie runterkamen?«
Sonia schüttelte den Kopf.
Es dauerte eine Weile, bis Igor erschien. Casutt hatte ihn offensichtlich aus dem Bett geholt.
»Sehen Sie nach, ob die Tür zum Skikeller verschlossen ist, und kommen Sie dann zurück mit ein paar Müllsäcken.«
Auch bei Igor wirkte der ungewohnte Befehlston. Er verließ den Wellness-Bereich fast im Laufschritt.
Barbara Peters zog die Badekappe an und legte ihren Bademantel ab.
»Und wenn das Zeug das Wasser vergiftet hat?« gab Sonia zu bedenken.
»Sie sind offenbar
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