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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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nicht so gut. Ich habe den Kopf voller Bilder, die ich vergessen möchte.«
    »Ich meine, gut für meine Diagnose. Sie haben alle Anlagen zur Synästhetikerin.«
    »Sie sagten doch, das habe man schon als Kind?«
    »Wenn Sie die Buchstaben in Farben sehen, ist das schon eine Form der Synästhesie.«
    Sonia setzte die Arbeit fort. Sie strich das ganze Bein bis zum Oberschenkelansatz, nur bei der empfindlichen Kniekehle reduzierte sie den Druck ein wenig.
    »Und das haben Sie immer?«
    »Nein. Nur ab und zu. Wie eben.«
    Die Musik wechselte von Flöte mit Klangschale zu Harfe mit Klangschale. Dr. Stahels Schweigen machte Sonia nervös. »Kann es durch etwas ausgelöst werden?«
    Er überlegte. »Durch Drogen. Haben Sie Erfahrungen mit so was?«
    Etwas an der Art, wie sie nein sagte, ließ ihn nach einer Weile fragen: »Wollen wir dieses Gespräch als eine Sprechstunde betrachten, die unter die ärztliche Schweigepflicht fällt?«
    Sonia lachte. »Bei solchen Gesprächen ist es doch eher umgekehrt: Der Patient liegt.«
    Er lachte auch ein bißchen, bevor er seine Frage stellte. »Können Sie genau bestimmen, wann es begonnen hat?«
    »Genau.«
    »Ist es mit einem bestimmten Erlebnis verbunden?«
    »Ja.«
    Er zögerte. »Einem Drogenerlebnis?«
    »Acid. LSD .«
    »Ich weiß, was Acid ist. Ich war einundzwanzig, als es verboten wurde. Nehmen Sie es öfter?«
    »Das war das erste Mal, soviel ich weiß. Und ich wußte nicht, was es war.«
    »Und dabei hatten Sie Ihr erstes synästhetisches Erlebnis?«
    »Ich sah Stimmen und roch Farben, wenn Sie das meinen. Und eine Tapete löste sich in ihre Bildpunkte auf, die sich bewegten.«
    »Und das passiert Ihnen seither immer wieder?«
    »Das. Und Ähnliches. Und anderes.«
    »Ich glaube, Sie hatten einen synästhetischen Trip, und jetzt leiden Sie unter synästhetischen Flashbacks. Und weil Sie von Haus aus eine heimliche Synästhetikerin sind, fallen die besonders plastisch aus.«
    »Und das geht vorbei?«
    »Ich kenne keinen solchen Fall. Ich werde nachsehen, ob in der Literatur einer beschrieben ist. Aber richten Sie sich vorsichtshalber darauf ein, damit zu leben. Viele Leute würden Sie darum beneiden. Ich zum Beispiel.«
wohne jetzt bei dir
willkommen
es ist etwas deprimierend
ich weiß
und du
habe synästhetische flashbacks
was ist das
farben fühlen töne sehen etc vom lsd damals
wow
    Die Schatten schneller Wolken glitten über die terrassierte Landschaft wie schwere Schleppen über breite Treppen. Der Wind trieb Sonia trotz der Sonnenbrille Tränen in die Augen. Sie war auf dem Rückweg von einem ihrer reinigenden Gewaltmärsche.
    Unterwegs hatte sie entschieden, Dr. Stahels Diagnose als gute Nachricht zu betrachten. Sie war nicht krank und nicht verrückt. Was sie hatte, war zwar nicht normal, aber es war etwas, mit dem auch andere Leute lebten.
    Der Wind hatte die Nässe der vergangenen Tage aufgetrocknet, endlich war die Sicht so, daß sie auch etwas von ihrer Umgebung sah. Die zerklüfteten, mit ernsten Fichten bestandenen Felswände der anderen Talseite, das zarte Grün der frisch ausgetriebenen Lärchen, der Südhang, der sich weit unten im Blaugrün der Talsohle verlor. Und Val Grisch: ein paar weißbraune, locker über die Wiesen gestreute Höfe und Ferienhäuser, die sich um die Kirche zu einem Dorf aus vierschrötigen Engadinerhäusern und belanglosen Dutzendbauten scharten. Und etwas abseits in vornehmer Distanz das Hotel Gamander, eine mißratene Drachenburg mit einer in der Sonne auffunkelnden Speerspitze in der Seite.
    Sonia erreichte das Ende des Natursträßchens und bog in die schmale Teerstraße ein, die zu einigen der Höfe führte. In einer Viertelstunde würde sie das Dorf erreicht haben. Hinter sich vernahm sie das Geräusch eines herannahenden Autos. Sie ging nahe an die Böschung, ohne sich umzudrehen.
    Sie hörte, wie der Fahrer vom Gas ging und den Wagen in einen niedrigeren Gang schaltete. Er überholte sie nicht. Sie blieb stehen. Es war der Geländewagen mit dem Tankanhänger, der ihr kürzlich schon einmal aufgefallen war. Aus dem offenen Fenster klang lauter Reggae. Am Steuer saß der Mann mit der rot verspiegelten Sonnenbrille. Er hielt an, beugte sich über den Beifahrersitz und rief: »Soll ich Sie ein Stück mitnehmen?«
    »Nein, danke, ich laufe, weil es mir guttut.«
    Er musterte sie durch die verspiegelten Brillengläser. »Die Figur hat’s nicht nötig.«
    Sonia schüttelte den Kopf. »Ich schlafe dann besser.«
    Der Mann grinste.

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