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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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durchgegangen. Ihre durcheinandergeratenen Sinne hatten sie überempfindlich gemacht für jede Art von Wahrnehmung. Möglich, daß es verschiedene Wirklichkeiten gab. Aber vielleicht sollte man sich an die halten, in der die andern lebten.
    Barbara Peters erschien auf der Terrasse. Sie trug ein Abendkleid aus einem silbern fließenden Material, vorn hochgeschlossen, hinten bis unter die Taille ausgeschnitten. Ein wenig overdressed, fand Sonia, aber hinreißend. Sie machte die Honneurs bei den Gästen, die ihr mit der Scheu begegneten, die sich bei vielen Leuten gegenüber besonders schönen Menschen einstellt.
    Bei Frau Professor Kummer und Fräulein Seifert hielt sie sich etwas länger auf. Die Alte sprach auf sie ein und schaute immer wieder zu Sonia herüber.
    Danach kam Barbara Peters direkt zu Sonia und Manuel. »Tun Sie mir den Gefallen, und essen Sie im Restaurant heute abend. Sie wird ersticken vor Wut.«
    Ein milder Ausklang eines warmen Tages. Während des ganzen Abendessens konnten die Fenster geöffnet bleiben. Auch die Flügeltür zur Bar stand offen. Von dort klangen die Nocturnes herein, die Bob auf Wunsch von Barbara Peters an den Wochenenden als Dinner Music spielte. Es waren neue Gäste angekommen, zwei jüngere Paare, die ein verlängertes Wochenende im Gamander verbrachten. Sie schienen Bekannte der Chefin zu sein. Manuel vermutete, sie hätten einen Sondertarif bekommen. Als verkaufsfördernde Maßnahme.
    Eines der drei Menüs, die täglich auf der Abendkarte zur Auswahl standen, klang exotisch: Pikante, süß-saure Gerstensuppe mit Thai-Basilikum. Kaninchencurry mit Klebreis. Aprikosenwähe mit Kokoscreme.
    »Rhätoasiatisch«, bemerkte Manuel, »da wird sich der Koch vom Steinbock aber freuen. Nicht sehr nett von der Chefin.«
    Sonia mußte an die Worte von Herrn Casutt denken: Menschen, die so schön sind wie die Chefin, brauchen nicht nett zu sein, damit man nett zu ihnen ist. Deshalb lernen sie es nie.
    Manuel hatte sich mit einem anzüglichen Augenzwinkern zurückgezogen. Sonia ließ sich den Rest der Baroloflasche einschenken, die sie in die Bar mitgenommen hatten. Barbara Peters saß mit den vier neuen Gästen an einem Tischchen. Sie führten eine halblaute Unterhaltung, aus der manchmal ihr helles Lachen emporstieg.
    Auch die Lanvins waren noch auf. Sie saßen schweigend an einem Tischchen vor ihren Night Caps und lauschten Bobs verträumtem Piano. Die Lüttgers waren soeben gegangen und hatten sich bei allen Bargästen von weitem pantomimisch verabschiedet.
    Dr. Stahel saß allein an der Bar und wechselte ab und zu ein paar Worte mit Vanni.
    Sonia nahm ihr Glas und ging auf die Terrasse.
    Die Nacht war noch immer mild und der Himmel so hell, daß sich die Berge auf ihm abzeichneten. Das Dorf klebte an seinem Hang wie ein Postkartenmotiv. Auf der Bergflanke darüber, achtlos hingestreut, die Lichter abgelegener Häuser, von denen ein paar davongeschwebt waren und jetzt als Sterne im nächtlichen Sommerhimmel blinkten.
    Sonia würde hier warten, bis das Piano verklungen war. Und noch ein wenig länger, bis Bob sich neben sie ans Geländer stellen und etwas über den schönen Abend sagen würde.
    Die Stimmen von Barbara Peters und ihren Bekannten wurden noch einmal lauter und verklangen dann in der Distanz. Auf eine der Föhren vor dem Hotel fiel plötzlich ein Lichtviereck. Sonia schaute hinauf. Oben in Barbara Peters’ Rapunzelwohnung war Licht angegangen.
    Aus der Bar hörte sie die »Bonne Nuits« der Lanvins. Danach den Schlußakkord des Pianos. Und gleich darauf eine Stimme neben sich. »Wir waren bisher nicht verwöhnt mit schönen Abenden.«
    Es war Dr. Stahel. Er hatte einen frisch angezündeten Zigarillo in der Hand und ein Glas mit kaum angeschmolzenen Eiswürfeln.
    Sonia hatte andere Pläne als ein Nachtgespräch mit einem älteren Neuropsychologen, so nett er auch war. Deshalb ließ sie es bei einem abwesenden »Mhmm« bewenden.
    Im Nachthimmel flog eine Fledermaus lautlos ihre unberechenbare Bahn.
    »Die kann die Töne auch sehen«, bemerkte Dr. Stahel.
    »Ich dachte, sie hört sie.«
    »Jedenfalls verwandelt ihr Hirn sie in Bilder. Wie Ihres.«
    »Woher wissen Sie so genau, wie es im Kopf einer Fledermaus aussieht?«
    »Töne sind auch Wellen, wie Farben. Vielleicht ist es egal, welches Organ sie registriert. Wichtig ist nur, als was sie das Hirn umsetzt.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und fragte unvermittelt: »Haben Sie schon einmal die Aura von jemandem

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