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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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weniger schwer an, und ihr Atem ging leichter. Das Gespräch hatte sie in die Banalität der Wirklichkeit von Val Grisch zurückgeholt. Ein Bubenstreich. Klar.
    Beim Kolonialwarenladen kam ihr Ladina entgegen. Sonia hatte vor, mit einem freundlichen Winken an ihr vorbeizurennen. Aber die Frau blieb stehen und wartete auf sie. »Ich wollte Ihnen danken«, sagte sie.
    »Wofür?«
    »Daß Sie mit Ihrem Kollegen gesprochen haben. Er hat mir eine Adresse gegeben. Heute abend haben wir einen Termin in Storta.«
    »Haben Sie es Frau Felix schon gesagt?«
    Ladina wurde verlegen. »Ich dachte, ich warte ab, wie es uns gefällt.«
    Sonia war erleichtert. »Das finde ich eine gute Idee.«
    Der Milchsammelwagen kam um die Kurve. Der Fahrer ging vom Gas und fuhr fast im Schrittempo vorbei. Sonia tat, als sehe sie ihn nicht.
    »Kennen Sie den?« fragte Sonia, als er vorbei war.
    »Reto Bazzell. Er sammelt die Milch ein und bringt sie in die Molkerei.«
    Und nach kurzem Zögern fügte sie etwas leiser hinzu: »Besser, Sie gehen ihm aus dem Weg.«
    »Gar nicht so einfach.«
    »Ich weiß. Wenn er nicht aufhört, sagen Sie es mir.«
    »Was tun Sie dann?«
    »Dann sag ich’s seinem Vater.«
    Colonials Bruhin öffnete schon um Viertel nach sechs. Die Dorfbewohner, die das erste Postauto nehmen mußten, kauften manchmal etwas bei Frau Bruhin. Jetzt war es halb sieben, und der Laden war leer.
    Sonia betrat ihn und verlangte Zigaretten.
    »Egal welche, nicht wahr?« sagte Frau Bruhin und gab ihr ein Päckchen Mentholzigaretten. »Sie rauchen sie ja doch nicht.«
    Sonia überlegte kurz. »Stimmt. Aber falls doch, hätte ich lieber keine mit Menthol.«
    »Sondern?«
    »Egal. Oder nein: Geben Sie mir ein Päckchen Marlboro. Aber light.«
    Frau Bruhin wandte ihr den Rücken zu und suchte im Gestell mit den Zigaretten. »Nicht viel los im Gamander«, stellte sie dabei fest.
    Die Frau hatte im Nacken ein Feuermal von einem so intensiven Rot, daß es aussah, als blute sie. Wenn sie die Haare etwas länger tragen würde, hätten sie das Mal verdeckt. Aber der Nacken war ausrasiert wie bei einem Mann. Als wollte sie absichtlich niemandem den Anblick dieses Blutschwamms ersparen.
    Sie wandte sich um und legte die Zigaretten auf den Ladentisch. »Und das Wetter hilft auch nicht gerade.« Sie stützte sich mit beiden Händen auf den Ladentisch, wie um zu signalisieren, daß sie gegen einen kleinen Schwatz nichts einzuwenden hätte.
    Noch etwas war seltsam an dieser Frau: Die Wimpern ihres linken Augenlids waren weiß und dicker und dichter als die schwarzen des unteren. Das verlieh ihrem Blick etwas Asymmetrisches, als ob sie leicht schielen würde.
    Sonia sagte mit der Loyalität einer guten Angestellten: »Für eine erste Saison ist es normal, daß man nicht ausgebucht ist. Ich bin sicher, das wird sich bald bessern.«
    Frau Bruhin gab keine Antwort, nickte nur, wie jemand, der eine Meinung zur Kenntnis nimmt, die er nicht teilt. »Haben Sie die Kirchenglocke auch gehört, gestern früh?«
    »Ja. Zwölf Schläge um fünf. Ein Bubenstreich, sagt der Sigrist.«
    Frau Bruhin richtete ihren irritierenden Blick auf Sonia. »Soso, ein Bubenstreich.«
    »Zweifeln Sie daran?«
    »Nein. Es gibt ja aller Art Buben. Kleine und große. Liebe und böse.« Sie legte eine vielsagende Pause ein. »Im Hotel soll es ja auch gewisse Vorkommnisse gegeben haben.«
    »Glauben Sie, das hängt miteinander zusammen?«
    »Wer weiß? Das Gamander hat nicht nur Freunde, hier im Dorf.«
    »Überhaupt keine, scheint mir.«
    Wieder blieb Frau Bruhin die Antwort schuldig.
    Sonia legte das Geld auf den Ladentisch und steckte die Zigaretten ein. »Ein Dorf und sein einziges Hotel sind aufeinander angewiesen. Die sollten doch miteinander auskommen, sollte man meinen.«
    »Sollte man meinen«, bestätigte Frau Bruhin. Dann ging sie zur Ladentür und öffnete sie für Sonia. »Und gestern dachte man noch, der Sommer habe endlich begonnen.«
    Es war schon zwanzig vor sieben, und sie hatte Frühdienst. Sonia fiel in einen lockeren Laufschritt.
    Der braune Bach auf der Hauptstraße war versiegt, aber der Himmel sah aus, als sei er noch nicht fertig mit Val Grisch.
    Es dauerte eine Weile, bis Igor hinter dem Empfangstresen erschien. Frisch gekämmt und unzerknittert. Aber als er Sonia erkannte, gab er die Verstellung auf, streckte sich und gähnte ungeniert, während er auf den Türöffner drückte.
    Sonia nahm zwei Stufen auf einmal als Kompensation für ihren abgekürzten Morgenlauf,

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