Der Teufel von Mailand
Zimmer, daß sie im Bad keine Lampe brennen lassen mußte.
Das Laub der Birke warf ein Muster an die Dachschräge. In seinem Innern glimmte manchmal ein Licht auf, wenn die Sommerluft die Blätter bewegte. Sein Rand war unregelmäßig gezackt und gerundet und zeichnete Profile auf die Täfelung. Sonia konnte sich einen Ausschnitt aussuchen, eine Ausbuchtung zur Nase erklären und zuschauen, wie sich der Rest zu einem Gesicht fügte. Einem niedlichen, einem schönen, einem lustigen.
Es wurde dunkel im Zimmer. Die Fassadenbeleuchtung war ausgegangen. Sonia wartete, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Langsam tauchten die Gegenstände im Raum wieder auf, wie dunkle Geheimnisse.
Sonia hörte, wie ein Motor gestartet wurde. Gleich darauf fiel für einen kurzen Augenblick ein Scheinwerfer ins Zimmer und ließ den Birkenschatten entstehen und vergehen. Sie stand auf und ging ans Fenster.
Auf dem Hotelparkplatz wendete ein Auto. Sie sah die weißen Rückwärtsfahrtlichter, dann nur noch die roten Rücklichter. Das Fahrzeug bog in die Straße ein. Als es unter der Straßenlampe durchfuhr, erkannte Sonia den Pajero des Milchsammlers.
Sie zog die Vorhänge zu, machte Licht im Bad, ließ die Tür einen Spaltweit offen und legte sich wieder ins Bett.
Weshalb konnte sie den Schattenriß des Birkenlaubs noch immer erkennen, obwohl kein Licht mehr durchs Fenster drang? Sie sah ihn sogar noch deutlicher als vorhin. Und die Konturen schärfer. Sie veränderten sich, verwarfen sich, verschwammen, wurden wieder klar, wurden farbig, wurden schwarz, fanden sich allmählich zu einem Profil. Und verzerrten sich zu einer Fratze.
Sie machte Licht und nahm ihr Handy vom Nachttisch.
malu bist du wach
nein
allein
nein
sorry
Die Kirchenglocke schlug die Viertelstunden. Dingdang, dingdang, vier Mal. Und danach schwer und bedächtig die vollen.
Sie schmeckten wie überreife Brombeeren. Sonia zählte zwölf.
Sie träumte, sie stehe unter der Dusche und das Wasser sei kalt. Dann holte die Weckmelodie ihres Handys sie aus dem Schlaf. Sie hatte die Bettdecke weggestrampelt und lag nackt und fröstelnd in der kühlen Luft, die durch die beiden offenen Fenster zog. Das Rauschen der Dusche war der Regen, der erbarmungslos die letzten Erinnerungen an die gestrige Sommernacht löschte.
Sonia war benommen von den kurzen Etappen unruhigen Schlafes. Sie nahm eine heiße Dusche, zog Tracksuit und Regenschutz an und öffnete Pavarotti die Käfigtür. »Flugwetter.«
Der Regen hatte nachgelassen. Aber auf der Dorfstraße floß ein schmaler lehmiger Bach. Die Wolken, die den Regen gebracht hatten, klebten reglos an den Felswänden.
Sonia trabte die Dorfstraße hinunter. Schon jetzt spürte sie, daß sie bald schlappmachen würde. Einmal bis zur Post und zurück, mehr würde sie heute nicht schaffen.
Von weitem sah sie den Sigrist vor der Kirche stehen. Er blickte in ihre Richtung, wandte sich ab, legte den Kopf in den Nacken und starrte angestrengt zum Kirchturm hinauf. So blieb er stehen und tat, als hätte er sie nicht gesehen.
Als Sonia auf seiner Höhe war, blieb sie stehen: »Heute hat sie richtig geschlagen, nicht?«
Sandro Burger blieb nichts übrig, als zu antworten. Aber noch immer blickte er unverwandt zur Turmuhr hinauf. »Ja. Heute schon.«
»Passiert das öfter?«
Burger drehte sich um und sah Sonia an. »Nein. Nie.«
»Und wie konnte es doch passieren?«
»Jemand muß sie verstellt haben.«
»Und wie kam er herein?«
»Durch eine der Türen.«
»Sind die nicht verschlossen um diese Zeit?«
»Doch. Aber die Schlösser sind alt.«
»Und einsteigen könnte man nicht?«
»Schon, aber dazu müßte man eine Scheibe einschlagen.«
Der Sigrist machte einen Schritt in Richtung Tür, um zu zeigen, daß er noch anderes zu tun hatte.
»Haben Sie einen Verdacht, wer das getan haben könnte?«
»Lausbuben.«
»Die ein Schloß knacken?«
»Heutzutage knacken Lausbuben sogar Computer-Paßwörter.«
»Haben Sie jemand Bestimmtes im Auge?«
»Die, die während der Messe die Kniebretter lösen, damit sich die alten Leute den Hals brechen. Die erwisch ich schon, da können Sie Gift drauf nehmen. Guten Tag noch.« Der Mann ging auf die Kirchentür zu.
»Kennen Sie die Sage vom Teufel von Mailand?«
Er blieb stehen und sah zurück.
»Wenn es tagt beim zwölften Schlag«, half Sonia.
Er verzog das Gesicht zu einem verständnislosen Grinsen und verschwand in der Kirche.
Sonia trabte weiter. Ihre Beine fühlten sich
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