Der Teufel von Mailand
fuhr schnell, als wollte er vor dem Regen flüchten.
»Weiß man, was sie hat?« fragte Sonia.
»Frau Felix? Krank. Das ist alles, was ich weiß. Nichts Schlimmes, falls du das gehofft hast.«
»Nichts Schlimmes. Aber hoffentlich etwas Langwieriges.«
Sie starrten schweigend in die farblose Unterwasserlandschaft. Ein alter Landrover fuhr die Straße hinauf, gefolgt von einem VW und einem japanischen Geländewagen. Mit etwas Abstand folgte der Transporter des hinkenden Bauern.
»Ganz schön was los bei dem Wetter«, bemerkte Manuel.
In kurzen Abständen kamen weitere Fahrzeuge. Eines davon der rote Landrover der Dorffeuerwehr. »Irgend etwas ist da los«, stellte Sonia fest. Sie blieben sitzen und schauten dem ungewöhnlichen Verkehrsaufkommen zu.
Nach etwa zwanzig Minuten fuhr in hohem Tempo ein Streifenwagen in die gleiche Richtung. Wenig später folgte ein Krankenwagen.
»Ein Unfall«, stellte Manuel fest.
Sonia nickte.
Schon als sie den Wellness-Bereich auf Nachtbetrieb umgeschaltet hatten und durch die Halle zu ihren Zimmern gingen, wußte die Rezeption Bescheid. »Reto Bazzell«, sagte Michelle, »der Mann, der die Milch einsammelt – tödlich verunglückt.«
Sonia und Manuel wechselten einen Blick. »Wie ist es passiert?« fragte sie.
»Selbstunfall, mehr weiß ich nicht.«
Manuels Zimmer lag in einem anderen Teil des Hotels. Bei der Treppe trennten sie sich. »Jetzt bleibt nur zu hoffen, daß er es auch tatsächlich gewesen ist«, grinste Manuel.
Sonia versuchte, ein schockiertes Gesicht zu machen. Aber sie hatte das gleiche gedacht.
Am Eingang des Steinbocks lagen schmutzige Lappen, von denen aus ein Pfad aus Schuhabdrücken in die Gaststube führte. An der Garderobe hingen nasse Windjacken und Lodenmäntel. Auf der Hutablage herrschte ein Durcheinander aus Schildmützen, Jägerhüten und Plastikkappen. Vom Stammtisch her drang nicht der übliche Feierabendlärm, nur gedämpftes Gemurmel, als spräche jeder sein eigenes Gebet.
Sonia war sich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, nach Bobs Einsatz als Cocktail- und Dinnerpianist trotz allem auf ein spätes Nachtessen in den Steinbock zu gehen. Sie hatte ihm schon vor zwei Tagen von Peder Bezzolas Experimentalküche vorgeschwärmt, und Bob hatte Reto Bazzells Unfall nicht als ausreichenden Grund betrachtet, ihre Pläne zu ändern.
Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, wurde es noch stiller im Lokal. Nina stellte ihr Tablett mit leeren Bier- und Weingläsern auf das Büffet und kam auf sie zu. »Zum Essen?« fragte sie. Als Sonia und Bob bejahten, führte sie die beiden ins Restaurant. Sie trug einen engen Rock und ein bauchfreies Top, beides in Schwarz, wohl eher aus Zufall als aus Pietät. Sie hatte gerötete Wangen und schien durch das Unglück mehr aufgedreht als niedergeschlagen.
Nur zwei Tische waren weiß gedeckt, auf den andern lagen fleckige Moltons. Man hatte nicht mehr mit Gästen gerechnet.
Die Karte, die Nina brachte, war neu. Sie umfaßte vier Seiten und enthielt kein einziges der rhätoasiatischen Menüs. Nur das übliche Landgasthofangebot mit ein paar Bündner Spezialitäten.
»Gibt es noch eine andere Karte?« erkundigte sich Sonia.
»Nein. Nur die.«
»Und die asiatischen Sachen?«
»Führen wir nicht mehr.« Bevor Sonia fragen konnte, warum, ging Nina hinüber zur Gaststube, wo jemand laut ihren Namen rief. Als sie endlich zurückkam, bestellten sie Bündner Gerstensuppe und Capuns. Für ihn sei das bereits ziemlich exotisch, tröstete sie Bob.
Die gedrückte Stimmung in der Gaststube übertrug sich rasch auf sie beide. Zuerst machten sie noch etwas Konversation, wie zwei Unbekannte, die sie ja auch waren. Aber bald aßen sie schweigend wie ein altes Ehepaar.
Beim Dessert – Engadiner Nußtorte mit einer Kugel Vanille-Eis – kam Peder Bezzola an den Tisch. Seine sonst blütenweiße Kochuniform wies einige Saucenflecken auf, sein weißes Halstuch war gelockert, beim Rasieren hatte er ein paar Stellen übersehen, und auf seinen Augen lag Rotweinglanz. »War’s recht?« fragte er. Es geriet ihm etwas herausfordernd.
»Schon, aber wo ist die asiatische Note geblieben?« fragte Sonia.
»Im Gamander«, antwortete der Koch. »Wenn Sie die asiatische Note suchen, können Sie sich im Hotel satt essen. Dort hat man das ja erfunden.«
Sonia saß im olivgrünen Polstersessel und hatte die Beine immer noch um Bobs Hüften geschlungen. Er lag auf ihr und hatte den Kopf auf ihre Schultern gelegt.
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