Der Teufel von Mailand
den wegen dem du bleibst
bob er ist pianist
oh dann bleib bleib
Ein Himmel wie ein Kohlesack. Ton in Ton die naßschwarzen Felsen. Die Wälder fast blau, die Wiesen algengrün.
Gian Sprecher hatte den ganzen Nachmittag Sturmholz entastet und die Äste zu Brennholz gesägt. Jetzt war er mit der zweitletzten Ladung unterwegs zu seinem Hof. Er lenkte seinen schwer beladenen Einachser vorsichtig den aufgeweichten, morastigen Feldweg hinunter. In der ersten Biegung der S-Kurve bei Funtana gelangte er auf die Hauptstraße, folgte ihr bis nach der zweiten Biegung und bog fünfzig Meter weiter unten in den Feldweg ein, der zu seinem Hof führte.
Die großen Erdschollen, die von den groben Profilen der Niederdruckreifen auf die Straße geschleudert wurden, hinterließen eine braune Lehmspur auf dem Asphalt.
Es war erst sechs Uhr, aber Reto Bazzell hatte schon das Abblendlicht eingeschaltet. Er war unterwegs zur Molkerei. Fast fünftausend Kilo Milch hatte er geladen. Die verspiegelte Sonnenbrille war in die Haare geschoben, aus vier Boxen stampfte Bob Marleys »Rebel Music«.
Reto war schon den ganzen Tag gut drauf gewesen. Immer wieder stellte er sich die Gesichter vor, die die im Gamander gemacht haben mußten, und jedesmal mußte er lachen. Vor allem jetzt, nach der kurzen Jointpause, die er oben am Waldrand eingelegt hatte.
Die Straße war trocken, der Pajero fuhr wie auf Schienen.
Am Eingang der Funtanakurve merkte er, daß er etwas schnell war. Er bremste.
Gian Sprecher fuhr seinen leeren Transporter zurück zum Corv-Wald, um die letzte Fuhre Holz abzuholen. Er erreichte die Einmündung in die Hauptstraße. Dort bot sich ein seltsamer Anblick: In das Braun der Lehmspur, die er hinterlassen hatte, mischte sich etwas Weißes und etwas Rosarotes.
Er zog die Handbremse, legte den Leerlauf ein und stieg ab. Milch. Das Weiße, das die Straße herunterfloß, war Milch. Und das schmale Rinnsal Rosarot, das sich mit ihr vermischte? »Merda!« fluchte er und humpelte die Straße hinauf.
Hinter der Biegung sah er den Pajero. Er lag auf dem Dach in zwei Föhren verkeilt, die an der Böschung wuchsen. Das Stück steiler Wiese oberhalb der Straße trug die Spuren des Fahrzeugs, das sich dort überschlagen hatte. Und weiter oben, dort, wo es von der Fahrbahn geraten war, ragten die aufgesplitterten Stämme zweier junger Lärchen in die Luft.
Der Tankanhänger hatte sich losgerissen und lag ein Stück oberhalb des Wracks, aber noch auf der Straße. Eine riesige zerbeulte Bierdose.
Je mehr sich Gian Sprecher dem Unfallort näherte, desto deutlicher wurde das Tuckern seines in der Distanz leer laufenden Einachsers durch Musik übertönt, die aus dem Wrack drang. We’re gonna chase those crazy baldheads out of town.
Reto Bazzell war aus dem Wagen geschleudert worden und lag mit grotesk verdrehten Gliedern auf der Straße. Das Blut aus einer großen Wunde am Hals vermischte sich mit der Milch, die immer noch aus dem Tankanhänger strömte.
Gian Sprecher bekreuzigte sich.
Auf einmal fiel dichter Regen aus dem Himmel.
Noch eine knappe Stunde bis Feierabend. Seit über zwei Stunden war niemand ins Bad gekommen. Sonia und Manuel saßen auf einer Bank aus poliertem Granit, die an der Glasfront stand. Von dort konnte man entweder die beiden Pools beobachten oder die Landschaft genießen. Sie wandten den Becken die Rücken zu.
Sonia erzählte, wie sehr die Sache mit Bango die Chefin getroffen hatte. Manuels einziger Kommentar war: »Doch nicht so kaltschnäuzig, wie man denkt.«
Danach diskutierten sie lange Sonias Theorie und einigten sich schließlich auf Reto Bazzell als Hauptverdächtigen. Jetzt hatten sie das Thema satt und probierten verschiedene andere aus. Im Moment gerade Frau Felix.
»Die ist bestimmt in irgendeiner Sekte. Das gibt es oft bei diesen alten Jungfern: Irgendwann bricht der religiöse Wahnsinn aus.«
»Sie hat einen Zauberspruch gesprochen und mich mit Weihwasser besprüht. Als wäre ich der Teufel.«
»Von Mailand.« Manuel lachte auf. Sonia blieb ernst.
Das Bad lag schon im viel zu frühen Zwielicht dieses grauen Tages. Keiner konnte sich aufraffen, die Beleuchtung einzuschalten.
Der Regen setzte ein, als wäre er schon immer dagewesen. Er legte einen groben Raster über die Landschaft, wie wenn man zu nahe vor einer Großleinwand sitzt. Das monotone Rauschen der vier Wasserfälle lieferte die Tonspur.
Ein Landwirtschaftsfahrzeug kam die Straße herunter. Sonia erkannte den hinkenden Bauern. Er
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