Der Teufel Von Muenster
Gesicht stand, die Todesangst, das Entsetzen über den unmittelbar bevorstehenden Tod …«
»Ich verstehe, was Sie meinen. Glauben Sie, er wollte das? Hat er es genau auf diese Eindrücke abgesehen?«
»Ja, das könnte sein. Er hat es diesmal auch in Kauf genommen, sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut zu besudeln, denn bei dieser Mordmethode kann man eigentlich nicht damit rechnen, ohne Blutspritzer davonzukommen.«
Haller nickte. »Das gilt selbst für Elitesoldaten und Schächter, die gelernt haben, wie man mit einem Messer tötet.«
Schächter und Elitesoldaten – ein eigenartiger Zusammenhang, den Haller da ganz beiläufig und nur unter dem rein handwerklichen Aspekt betrachtet herstellte, fand Anna. Aber genau dieser etwas irritierende Vergleich setzte einen Gedankenfluss in Gang. »Vielleicht war Branagorns Gedanke gar nicht so weit von dem entfernt, was …«
»Kommen Sie mir nicht wieder mit dem Spinner! Ein paar Haare auf dem Boden zu finden ist keine Kunst. Was glauben Sie, wie viele Leute hier herumlaufen und andauernd Haare verlieren? Und abgesehen davon …«
»Nein, das meine ich nicht«, widersprach Anna.
Haller hob die Augenbrauen. »Sondern? Was dann?«
»Ich war gedanklich immer noch bei dem Aspekt davor. Dass der Täter sich mit Blut besudelt hat. Wenn es wirklich derselbe Täter war, scheint er immer weniger Scheu gehabt zu haben.«
»Korrekt. Erst das Gewehr, dann die Drahtschlinge, zuletzt die Keule oder was es auch immer gewesen sein mag, und nun eine richtige Sauerei.«
»Also jemand, der sich bisher nicht gerne die Hände oder irgendetwas anderes schmutzig gemacht hat. Warum hat er es jetzt aber in Kauf genommen? Vielleicht deswegen, weil er sich in irgendeiner Form davor geschützt hat.«
»Ich komme nicht ganz mit, Frau van der Pütten.«
»Verstehen Sie wirklich nicht? Der Pestarzt, mit dem Branagorn aneinandergeriet, hat seine Verkleidung vielleicht nicht ohne Grund gewählt. Die Pestärzte des Mittelalters haben diese Schnabelmasken getragen, um sich vor den Ausdünstungen der Kranken zu schützen – auch davor, dass sie mit hochinfektiösem und in der Regel mit Blut vermengten Speichel angespuckt wurden und sich dabei selbst infizierten.«
»Das ist doch an den Haaren herbeigezogen«, glaubte Haller. »Verzeihen Sie diese Ausdrucksweise angesichts der besonderen Umstände dieses Verbrechens, bitte! Aber Sie können doch nicht im Ernst daraus schließen, dass der Täter hinter dieser Pestmaske steckte und der edle Elbenritter namens Schmitt das natürlich mit seinen Argusaugen sofort erkannt hat und nichts anderes im Sinn hatte, als den Täter zu stellen – beziehungsweise ›einen Unhold mit dem Schwert zu enthaupten‹, wie dieser komische Vogel sich wahrscheinlich ausgedrückt hätte.«
»Es würde aber passen!«, beharrte Anna. »Das mit dem Pestdoktor, meine ich. Es würde psychologisch und vom vermutlichen Tatgeschehen her zusammenpassen, das war alles, was ich dazu sagen wollte. Und keine Sorge, ich werde jetzt nicht versuchen, mit Hilfe irgendwelcher magischen Sprüche unsere bisher reichlich dürftigen Erkenntnisse zur Täterpersönlichkeit noch etwas zu vermehren.«
»Das beruhigt mich, Frau van der Pütten«, seufzte Haller.
Der Irre aus Münster
»Ey, guckst du komisch!«, rief einer der Jugendlichen, die vor dem Siebziger-Jahre-Wohnblock herumlungerten. Die Jungs trugen tief hängende Hosen, und ihre Kapuzenshirts hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit Branagorns Wams. Die Mädchen standen etwas abseits und kicherten viel.
Brüningheide oder Kinderhaus-West hieß dieser Stadtteil von Münster, der seinem Image als sozialer Brennpunkt trotz aller amtlichen Anstrengungen nie wirklich entkommen war. In einem dieser Hochhäuser, die wie eine Zeitkapsel den Eindruck einer Satellitenstadt aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts bewahrten, wohnte Frank Schmitt alias Branagorn, Elbenkrieger aus dem Gefolge des Königs von Elbiana und Herzog von Elbara, den man auch Branagorn den Suchenden nannte. Ein kleines Apartment, das abgesehen von Küche und Bad nur aus einem einzigen Raum bestand, hatte man ihm zugewiesen. Aber er fand, dass er schon schlechter gewohnt hatte. Immerhin war die Wohnung – anders als eine, die er zuvor belegt hatte – frei von Schimmel. In dieser Hinsicht war er empfindlich. Er konnte Schimmel sofort in der Nase spüren und hasste alle intensiven Gerüche. Die Wohnung hatte Doppelglasscheiben, was bei Bauten dieser
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