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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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sie, als wolle sie die Toten zum Leben erwecken. Ich habe sie mit Essen und Trinken und einer guten Dosis Laudanum im Notenzimmer eingeschlossen, Gott helfe mir.«
    Finde Piest , lautete das Stoßgebet, das ich an Neills Adresse sandte. Ich musste mich zwingen, meine vor Entsetzen zugekniffenen Augen wieder zu öffnen. Etwas brauche ich auf der Stelle, und zwar ein besseres Augenpaar.
    Das klaffende Kreuz in seiner Brust war gar nicht das Schlimmste. Er war ein schmaler Junge. Vielleicht elf Jahre alt, aus seinem Gesicht und der Größe des nur zu deutlich sichtbaren Brustkorbs zu schließen. Ganz klar ein irischer Junge, wie mir das rötliche Haar und die sommersprossige Haut verrieten. Ich zwang mich, mir seine Hände anzuschauen: kein Arbeiter. Er war ein Strabanzer gewesen, darauf hätte ich mein Leben verwettet, zumal im Augenwinkel noch Restspuren von Schminkezu sehen waren, die entweder er selbst oder der Mörder nicht vollständig hatte wegwischen können.
    Aber der Rest ... da war so viel Blut. So viel Blut für einen so kleinen Körper! Seine zerrissene Kleidung war damit vollgesogen, auf dem Boden hatte sich eine Pfütze gebildet, wo das Blut von den dicken alten Eichenbrettern, an die man ihn mit Händen und Füßen genagelt hatte, getropft war. Rund um den Körper waren blasse Zeichen unordentlich aufs Holz gepinselt.
    »Womit sind diese Symbole gemalt?«, fragte ich mit heiserer Stimme. »Diese – all diese Kreuze. Ich zähle sieben. Warum? Diesmal ist es anders, so etwas habe ich noch nie gesehen. Und womit sind sie gemalt? Für mich sieht das nach ganz normaler Kalktünche aus.«
    »Scheint mir auch so.«
    »Sie ist noch nicht trocken, aber beinahe. Das könnte uns weiterhelfen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wie lange braucht es, bis Tünche getrocknet ist?«
    »Ah, ich verstehe. Aber ja, ich würde sagen, nicht mehr als anderthalb Stunden, wenn man sie in dieser Dicke aufträgt.«
    Ich zwang mich, einen Schritt näher zu gehen, mein Oberkörper gekrümmt wie ein Fragezeichen. Die Luft war erstickend, fettig wie Lampenöl. Weihrauch, vermischt mit dem durchdringenden Geruch von Opferblut.
    »Kennen Sie ihn, Hochwürden?«
    »Nein, ich hab ihn nie gesehen.«
    Wir starrten ihn noch eine Weile an, stupide vor lauter Hilflosigkeit.
    »Das ist nicht richtig«, wisperte ich und wusste selbst nicht, was ich damit meinte.
    Ein heftiger Knall von der anderen Seite des entsetzlichen Portals ließ mich zusammenfahren. Pfarrer Sheehy zischte etwas in seiner Muttersprache, fuhr sich über den kahlen Schädel und sprang wie eine dilettantisch gehandhabte Marionette zu dem unbefleckten Eingang auf der linken Seite.
    »Ich muss Mr. Timothy Wilde sprechen, in einer Angelegenheit von höchster Dringlichkeit für die Bürger dieser Stadt!«, gellte die Stimme eines Hummers, der schon halb im Kessel mit dem kochendem Wasser hängt.
    Meine Schultern strafften sich. Ich habe nie in einer Armee gekämpft. Nicht einmal in einer Gang von Rowdys, die mit Gebrüll ihr Territorium verteidigen. Aber vielleicht ist es genau das, was man fühlt, wenn die Verstärkung kommt, dachte ich. Dieses Gefühl, wieder ein ganzer Mann zu sein. Einfach nur, weil man nicht mehr der Einzige ist. Allein war ich ein zusammengekrümmter Ex-Barmann, der voller Entsetzen auf den Tod starrte. Die Ankunft eines Kollegen machte mich wieder zum Polizisten.
    »Neill«, sagte ich über Pfarrer Sheehys Schulter in die stille Luft hinein, »ich danke dir. Jetzt hol mir Dr. Peter Palsgrave. So schnell du kannst.«
    Während ich Neill die Adresse nannte und ihn wieder fortschickte, kam Mr. Piest mit seiner Laterne durch die Tür. Sheehy und ich traten einen Schritt zur Seite. Mein Polizeikollege wandte sich ebenfalls um und schaute. Er stand einfach da, als habe sein Herz zu schlagen aufgehört. Aber er erbleichte nicht. Im Gegenteil, sein Gesicht wurde so rot wie das Hemd eines Feuerwehrmanns, er bleckte die zerklüfteten Zähne. Und ich begriff, dass er so zornig war wie ich.
    »Zuerst«, sagte Mr. Piest. »Wo sollen wir anfangen? Was tun wir zuerst?«
    »Sollen wir ihn abnehmen?«, fragte der Priester mit rauer Stimme. »Das ist eine Beleidigung der Heiligen Kirche. Das ist Gotteslästerung.«
    »Nein. Warten Sie, bis der Doktor hier ist«, erwiderte ich. Ich hatte ziemlich zu kämpfen, dass mir die Worte nicht im Hals stecken blieben.
    »Und Polizeichef Matsell«, stimmte Mr. Piest zu. »Ich habe gleich nach ihm geschickt«.
    Ich nickte und wandte mich

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