Der Teufel von New York
kommen Sie, ich soll Sie so schnell wie möglich hinbringen. Bitte.«
Ich griff nach meinem Hut und bat Mrs. Boehm, niemandem außer mir die Tür zu öffnen.
»Ist jemand verletzt?«, fragte ich, als wir losliefen.
»Weiß nicht«, keuchte Neill. »Aber irgendwer ist umgebracht worden, und zwar ganz schlimm – von dem wahnsinnigen irischen Teufel, der sich hier in der Gegend rumtreibt.«
18
Es müssen Dämonen in Menschengestalt gewesen sein, denen eine Zeitlang die völlige Herrschaft über die Erde überlassen wurde, damit die Notwendigkeit eines reineren und heiligeren Glaubens gestärkt werde.
Amerikanische Protestanten zur Verteidigung
der Bürgerlichen und Religiösen Freiheit
gegen den Vormarsch des Papsttums, 1843.
Das ist nicht wahr , dachte ich, während wir rannten. Bitte! Das kann nicht sein. Denn sollte es wahr sein, werden wir teuer dafür bezahlen, viel zu teuer. Sollte ein wahnsinniger irischer Teufel in den Straßen dieser Stadt sein Unwesen treiben, dann wird in den Köpfen ihrer Bewohner kein Platz mehr sein für den kleinsten vernünftigen Gedanken.
Auf den Straßen nach Norden, in Richtung des verschwommenen Turms der St.-Patrick’s-Kathedrale, kam mir alles unwirklich vor, wie eine Pappkulisse für das Bühnenstück der Zeitungsjungen. Die Luft war heiß und schmutzig. Ich wünschte inständig, wir kämen schneller voran. Hätte ich nur nicht den Fall des gestohlenen Pferdes schon gelöst.
Wir bogen nach links in die Prince Street ein, und da lag St. Patrick’s vor uns, das bleiche, in Mondlicht getauchte Monument, das man für den Gott der Katholiken errichtet hatte. Es war die einzige Stunde der Nacht, in der selbst in New York so etwas wie Ruhe herrschte: ein geschützter Tunnel Zeit, der nur von drei Uhr dreißig bis vier Uhr morgens reicht. Um zwei Uhr morgens ist es noch zu früh, da ist alles noch gingetränkt, da riecht es noch nach gebratenen Koteletts, dem Kaffee nach derOper und Hintergassenbeischlaf. Und um fünf Uhr erobern die Lastkarren die Straßen zurück, und die Hähne krähen, was das Zeug hält.
»Es gibt keinen wahnsinnigen Iren, der hinter katholischen Kindern her ist«, sagte ich zu Neill, in dem verzweifelten Wunsch, es möge wahr sein. »Das ist nur ein übles Gerücht, das auf einem unsinnigen Brief beruht, den der Herald veröffentlicht hat. Sie haben ihn schon wieder zurückgezogen.«
Neill schüttelte über meine Ahnungslosigkeit nur traurig den Kopf.
Eine kleine Menschenmenge hatte sich vor dem Seitenportal des Gotteshauses versammelt. Fast alles Iren. Ein paar Amerikaner. In den meisten brodelte etwas, das ich schon einmal gesehen hatte: Es waren die gleichen erwartungsvollen, furchtsamen, kindischen Mienen wie bei den Schaulustigen, die vor einem Monat zugesehen hatten, wie die halbe Stadt bis auf die Grundmauern niederbrannte.
»Ich habe nein gesagt«, erklärte Pfarrer Sheehy sehr bestimmt. Er hielt eine Pistole in der Hand. Sie war geladen und gespannt und offenbar ein alter Freund – fürs Erste hielt er sie aufs Pflaster gerichtet. »Ich sag es euch, sooft ihr es hören wollt und solange ihr nichts Besseres zu tun findet.«
»Haben wir etwa kein Recht, uns anzusehen, wie es aussieht, wenn der Teufel seine Arbeit verrichtet hat?«, fragte ein düster dreinblickendes altes Weib. »Immerhin geht es hier um unsere eigenen Leute!«
»Das ist keiner von euch, Mrs. MacKenna. Beten Sie für seine Seele, und beten Sie für unsere Leute und um Gottes Weisheit, aber gehen Sie zurück nach Hause.«
»Und was ist mit unserem Zuhause?«, rief ein schwarzbärtiger Bursche mit wachen blauen Augen. Offensichtlich einer, der schon für die kommenden Wahlen von den Demokraten gebucht war, und ebenso offensichtlich war er ein Vater – ich las eine Furcht in seinem Gesicht, die nicht ihm selbst galt. »Was ist mit unseren Kindern? Was wird aus unserer Lebensgrundlage, wenndiese Neuigkeit die Runde macht? Können wir dem Feind nicht direkt ins Gesicht schauen?«
Pfarrer Sheehys Gesicht war so fest verschlossen wie das steinerne Gemäuer hinter ihm. »Der Bursche da drin ist nie ein Feind gewesen, auch wenn ich genau weiß, was Sie meinen, Mr. Healy. Sie müssen für das Wohlergehen Ihrer Familie sorgen, und ich kann Ihnen sagen, wie Sie das machen: Gehen Sie nach Hause.«
»Machen Sie die Tür frei«, rief ich und fuhr mit der Hand über meinen Kupferstern.
Das mir mittlerweile nur zu bekannte abfällige Grinsen trat auf die Gesichter der
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