Der Teufel von New York
haben die Botschaft an ihn nicht unterzeichnet. Er hat keine Ahnung, dass der Brief von Ihnen stammt.«
»Nein? Ich war in dem Moment sehr durcheinander, denn ich wusste ja, was kommen würde. Ich konnte nicht mehr klar denken, ich wusste, dass die Tat selbst grauenvoll sein würde. Aber ich hatte den Befehl von Gott. Er hat mir ein eindeutiges Zeichengegeben, und ich habe Ihm gehorcht, und deshalb kann ich mich nicht entschuldigen.«
Ein paar Sekunden dachte ich scharf nach, was das für ein eindeutiges Zeichen gewesen sein mochte. Dann drehte sich mein Magen mit einem Sprung um wie eine erschreckte Katze. Ich wusste, wovon er sprach.
Mercy, die vielleicht nur noch in meiner Erinnerung lebendig war, flüsterte mir ins Ohr: Jetzt werde ich nie mehr einen Platz finden, an dem ich auch nur eine Münze verstecken kann, niemals, und was mein Vater denkt, darüber kann ich gar nicht reden. Seit meiner Fallanalyse auf dem Metzgerpapier ahnte ich, dass sie ihren Vater verdächtigte. Der Grund, warum sie mit offenem Haar zur Kathedrale gerannt war, war ihre Angst, ihr eigener Vater, der erst mitten in der Nacht heimgekommen war, könnte ein Meuchelmörder sein. Thomas Underhill hatte offenbar so gänzlich den Verstand verloren, dass er womöglich blutbesudelt nach Hause gegangen war.
Aber erst jetzt wurde mir klar, dass sie aus einem tragischen Zufall heraus ihren Vater überhaupt erst zu diesem Mord veranlasst hatte.
»Zuerst haben sie meine Frau getötet«, murmelte der Reverend. »Sie war so schön. Sie erinnern sich gewiss nicht an sie, das wäre kaum möglich, aber ich schon. Und dann verderben sie meine Tochter so sehr, dass sie sich in eine Art Pornographin verwandelt.« Die letzten beiden Wörter hauchte er ganz sanft hin, als wollte er verhindern, dass er daran erstickte. »Sie ist nicht besser als eine Hure. Wie hätte sie denn sonst diesen Schund schreiben können, wenn sie nicht die Berührung vieler Männer gekannt hätte? Alles, was sie berühren, verwandeln sie in Dreck, verstehen Sie das denn nicht? Sogar meine Tochter. Ich nahm den Lohn, den sie für ihre vielen Sünden erhalten hatte, und warf ihn auf die Straße. Er war natürlich im Nu fort. Aufgelesen von Landstreichern, von anderen zuchtlosen Frauen, von all dem Pöbel, der sich auf der Straße herumtreibt. Und dann wusste ich, was ich tun musste. Vor einer Aufgabe, die Gott ihm gestellt hat, darf einMann nicht zurückscheuen, und wie sollte man bei einem Volk Barmherzigkeit üben, bei dem sogar die Kinder sich bereitwillig als Metzen feilbieten.«
Ich schloss die Augen, sie waren leer und brannten. Ich sah Mercys Münzen auf der Straße liegen – für die sie gearbeitet hatte, auf die sie gezählt hatte. Ich sah mein eigenes Geld, geschmolzen im Feuer. Ich bin nicht habgierig. Und Mercy war es auch nicht. Wir sind keine Börsenmakler gewesen oder Hausvermieter oder einflussreiche Parteimitglieder. Aber New York kennt kein Erbarmen. Und weil diese Stadt kein Erbarmen kennt, brauchen wir alle ein Sicherheitsnetz.
Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, was Sie getan haben, aber wollen Sie mir bitte verraten, warum um Himmels willen Sie es getan haben?
»Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen«, sagte ich. »Sie haben Mercys Geheimnisse entdeckt und genommen, was ihr gehörte. Dann gingen Sie in das Bordell am Hafen. Sie haben einen betrunkenen kleinen Jungen aufgegriffen und ihm dann so viel Laudanum gegeben, dass er überall mit Ihnen hingegangen wäre.«
»Ja!«, rief er aus. »Und selbst in dieser dunkelsten Stunde habe ich auf Zeichen und Hinweise geachtet, Timothy. Hätte irgendjemand mich aufgehalten ... es wäre ein Omen gewesen. Verstehen Sie nicht? Es gab niemanden, den es kümmerte, wo er hinging. Nicht einmal seine Herrin, keiner scherte sich darum, denen ist nicht mehr zu helfen. Ich musste die Stadt warnen, musste dieses Übel öffentlich machen, bevor auch nur eine weitere Person angesteckt würde. Sie haben mir mein schönes Kind genommen, haben ihr beigebracht ...«
»Sie haben ihn in einem Sack unter ... Kleidern versteckt, vermute ich«, fuhr ich unerbittlich fort, »weil Stoff nicht so viel wiegt, und dann haben Sie sich etwas Farbe und ein paar Nägel zusammengesucht. Nachdem Sie Pfarrer Sheehys Versammlung überstanden hatten, haben Sie sich einfach in einer Nische versteckt, davon gibt es ja genügend in der Kathedrale. Eine unerträgliche Vorstellung, Reverend. Zum Unglück für Sie war Marcas noch nicht ganz
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