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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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tot.«
    »Ja, das war schon sehr viel Blut für einen toten Knaben«, hauchte er und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Sehr viel Blut.«
    »Kam er noch mal zu Bewusstsein?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es«, fauchte ich ihn an. »Antworten Sie mir.«
    »Ich glaube nicht, er war so zart, und die Sache selbst ging so schnell. Ich kann mich kaum noch erinnern, was geschah, bevor ich wieder hinausschlüpfte, aber vielleicht ...«
    Ich verlor die Geduld.
    »Und ob Sie sich erinnern!« Mit einem Satz war ich bei ihm und hielt ihm die Pistole an die Stirn. »Sagen Sie es mir.«
    Selbst Männer, die sterben wollen, erschauern, wenn man kaltes Metall an ihre Haut presst, so auch Reverend Underhill.
    »Er sagte nichts«, antwortete der Wahnsinnige mit bebender Stimme. »Also fühlte er auch nichts. Da war bloß ... da war bloß so ungeheuerlich viel Blut.«
    »Wie konnten Sie nur Mercys Buch verbrennen?«, fragte ich.
    Als ich ihm so Pfarrer Sheehys Pistole an den Schädel hielt, fühlte ich mich wie ein Schläger, nicht besser als die Männer, die Julius eine Steckrübe zwischen die Lippen geschoben hatten. Aber ich lernte gerade, was Val wohl schon vor langer Zeit entdeckt hatte. Wenn nur genügend schreckliche Dinge vorgefallen waren, fühlte es sich nicht mehr ganz so schrecklich an, sie selbst zu tun.
    »Ich habe Mercys Buch um ihretwillen verbrannt«, antwortete er überrascht. »Wie können Sie davon wissen? Sie weigerte sich, danach mit mir zu sprechen. Es war wild – erotisch in einer schamlosen Art, so lyrisch und üppig, so völlig enthemmt. Ein Buch wie dieses konnte ihren Ruf ruinieren. Sie würde eines Tages Mutter werden, dazu war sie bestimmt, und wie hätte sie denn später ihren Kindern in die Augen schauen können, als Verfasserin von solch schwülstigem Schund?«
    Meine Liebe zu Mercy mochte noch so blind und illusorisch sein, doch wenn ich eines mit Sicherheit sagen konnte, dann dies:Sie war außerstande, Schund zu schreiben. Schließlich habe ich Licht und Schatten in den Straßen von New York gelesen. Immer und immer wieder. Wenn ich nur daran dachte, was aus diesem verlorenen Roman hätte werden können, ein Erfolg wie die Bücher von Frances Burney oder Harriet Lee oder so vielen anderen, dann schnürte es mir die Kehle zu.
    »Mercy«, murmelte der Reverend. »Ich hätte alles gegeben, um Mercy zu retten. Sie war ein Stück von Olivia. Und nun kann ich sie nur wiedersehen, wenn ich selbst Hand an mich lege. Eine angemessene Strafe, denn die Schuld trifft ja auch mich – ich hätte ihr niemals solche Freiheiten zugestehen dürfen. Das ist mein Fehler gewesen. Ich flehte sie an, ihre Torheit zu bereuen, bevor es zu spät war, so wie ich Olivia angefleht habe, die der Gotteslästerung Vorschub geleistet hatte, doch sie weigerten sich beide, und einer Ewigkeit ohne sie kann ich nicht ins Auge blicken. Mercy hat mich meine Seele gekostet.« Thomas Underhill sah in dem Moment aus wie ein Kind. Unendlich verloren, fremd im eigenen Zuhause, unsicher und zaudernd.
    »Wo ist sie?«, fragte ich beharrlich weiter.
    »Sie sind gekommen, um uns zu beerdigen, nicht wahr?«
    Ich schlug einen anderen Pfad ein. »Was hat mein Bruder damals am Tag nach unserer ersten Begegnung zu Ihnen gesagt? Als er sich von seiner Drogenvergiftung erholt hatte und zu Ihnen ging, um mit Ihnen allein zu sprechen, bevor Sie uns dann zum Tee einluden, was hat er da gesagt?«
    »Ich kann unmöglich ...«
    »Ich muss es unbedingt wissen«, sagte ich bittend.
    Der umherirrende Blick des Reverend heftete sich auf die Wand. »Er wollte wissen, ob ich der Meinung sei, Gott könne jede Tat vergeben, ganz gleich, wie böse. Sie wissen, warum. Und natürlich bejahte ich das.«
    Ich schloss die Augen in einem winzigen Augenblick der Gnade.
    »Und dann«, fuhr Thomas Underhill fort, »fragte er mich, ob auch ein Mensch dazu imstande sei.«
    »Und was haben Sie ihm gesagt?«, flüsterte ich.
    »Dass er nie nachlassen solle in dem Bemühen, es herauszufinden.«
    »Danke«, sagte ich und legte so viel Gefühl in dieses Wort wie noch nie zuvor. »Mein Gott, danke. Wo ist Mercy?«
    »Sie ist tot.«
    Ich zwang ihn mit der Pistole, sich wieder in den Sessel zu setzen. Dann sprang ich auf den Tisch und schnitt mit dem Taschenmesser zwei Stücke vom Ende des Stricks ab. Die Schlinge ließ ich zur weiteren Betrachtung hängen und fesselte geschwind seine Handgelenke an die Armlehnen.
    »Ich bin hier, um Sie festzunehmen«,

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