Der Teufel von New York
Wenn er dazu aufgelegt war, konnte Val ein Gerichtsplädoyer lesen und dann ein solches Streitgespräch mit dem Anwalt anfangen, dass es den Mann ins vorzeitige Grab brachte, aber letztlich machte er lieber selbst Schlagzeilen, als sich über Gedrucktes den Kopf zu zerbrechen. Daher wusste ich, dass die Zeitung für mich war. Dies ist es, was ich las, wobei ein heftiges Brennen im Gesicht mir fast den Atem nahm, so dass ich schon dachte, es stehe wieder in Flammen:
EXTRA-AUSGABE N EW Y ORK H ERALD, DREI U HR NACHMITTAGS: SCHRECKLICHER GROSSBRAND: Das größte und furchtbarste Feuer, das die Stadt seit der großen Feuersbrunst im Dezember 1835 heimsuchte, hat den Südteil der Stadt weitgehend zerstört. Dreihundert Gebäude sind nach den derzeitigen Berechnungen bis auf die Grundmauern niedergebrannt ...
Meine Augen versagten mir fast den Dienst, sie wollten nicht weiterlesen.
Der Schaden wird auf etwa fünf bis sechs Millionen Dollar geschätzt...
Nun, das wusste ich schon instinktiv, das konnte mir gar nicht entgangen sein, ungeachtet meines jämmerlichen körperlichen Zustands. Über dem Hudson war eine beachtliche Summe in Rauch aufgegangen. Das war offensichtlich. Doch es war nicht die Sorge um Geld oder Häuser, die meinen schlafenden Bruder quälte und ihm eine Falte zwischen die Brauen malte, auch wenn er wahrscheinlich immer noch voll war wie eine Haubitze. Meines Bruders eine gute Eigenschaft ist die Art und Weise, wie er Feuerschäden berechnet. Das ist etwas ganz tief in ihm Verankertes, etwas stets Gegenwärtiges, Dauerhaftes. Daher verspürte ich einen Schmerz, der größer war als der meiner eigenen Wunden, ein blankes Mitgefühl, als ich las:
Es wird angenommen, dass viele Menschen bei dieser schrecklichen Explosion ihr Leben verloren.
Letztendlich lag die Zahl, dem Herrn sei Dank, bei dreißig Toten – eine geringe Zahl, wenn man bedenkt, was für ein heilloses Chaos geherrscht hatte.
Doch für Valentine war die Zahl nicht niedrig genug. Auch für mich nicht. Bei weitem nicht.
3
... die papistischen Länder Europas spucken Jahr um Jahr ihre ungebildeten, abergläubischen und degenerierten Bewohner an unsere Küsten, und zwar nicht zu Zehntausenden, sondern zu Hunderttausenden, und diese strecken sogleich ihre Hände nach den höchsten Privilegien der einheimischen Bürger aus, ja sogar nach dem Land selbst.
Amerikanische Protestanten zur Verteidigung
der Bürgerlichen und Religiösen Freiheit
gegen den Vormarsch des Papsttums, 1843.
Wer in New York arm ist, der muss wissen, wie man sich durchschlägt: Man sucht Mittel und Wege.
Diesen Kniff, der über Leben und Tod entscheidet, lernten wir schnell, Valentine und ich, als wir im Alter von sechzehn beziehungsweise zehn Jahren als die einzigen Wildes am Leben blieben. So dass ich drei Tage nach der Feuersbrunst, als ich schon wieder problemlos herumlaufen konnte, aber bei jedem lauten Geräusch zusammenzuckte wie eine Gossenkatze und ein Summen in die Ohren bekam, ganz genau wusste, dass ich nur zwei Möglichkeiten hatte: entweder Vals Angebot anzunehmen und bei der Polizei zu arbeiten oder aber ins Landesinnere auszuwandern und Bauer zu werden. Ich beschloss, da ich offensichtlich in einem nicht enden wollenden Alptraum erwacht war, als Polizist anzufangen. Und sofort wieder zu kündigen, sobald ich etwas Besseres fand.
Am Morgen des 22. Juli, ein kräftiger Wind vom Ozean fegte den sommerlichen Gestank aus der Stadt, lief ich also die Spring Street hinunter, vorbei an den Ananasverkäufern und dem Leierkastenmannam Hudson Square, um eine Bleibe zu finden. Unter Einsatz von Mitteln und Wegen. Bei einem Lohn von fünfhundert Dollar im Jahr waren die Mittel schon mal beschränkt. Im Nick’s hatte man mir noch weit weniger gezahlt, aber das war nie ein Problem gewesen. Nicht, wenn man das Trinkgeld mitzählte, all die Gold- und Silbermünzen und die Blechlinge, die die hemdsärmeligen Irren mir zusteckten, lauter kleine Münzen, die Julius und mir in den Taschen klimperten, wenn wir uns nach unserer Schicht auf den Heimweg machten. Mit einem Lohn war das anders – der blieb von beängstigender Stabilität. Ich würde mich mit einem Bruchteil dessen begnügen müssen, was ich früher verdient hatte, sollte ich keine Neigung verspüren, aus der einen oder anderen Bordell-Madam ein bisschen Extrakies herauszupressen.
In New York verändert sich die Umgebung schneller als das Wetter. In der Spring Street, in der Val wohnt, findet man eine
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