Der Teufel von New York
fühlt sich dein Gesicht an, Tim?«, zischte Valentine.
Jetzt lag Schwefel in der Luft. Eine heiße und irgendwie klumpige Wut stieg mir in die Kehle.
»Als hätte man mir mit dem Bügeleisen eine Ohrfeige verpasst«, antwortete ich.
»Und du glaubst, es sieht hübscher aus, als es sich anfühlt?«, höhnte er, jetzt etwas leiser. »Du steckst in Schwierigkeiten, kleiner Timothy. Du hast an einer nicht ganz unauffälligen Stelle eine gehörige Dosis heißes Öl abbekommen. Solltest du im hintersten Winkel eines Gemüseladens hinter einer Holzplanke als Barmann arbeiten wollen, dann trink ich gerne auf dein Glück. Aber es dürfte wahrscheinlicher sein, dass man dich in Barnum’s American Museum als Der Mann, der einen Teil seines Gesichts verlor ausstellt, als dass man dich in der Bar eines Hotels bedienen lässt.«
Ich biss mir fest auf die Zungenspitze und schmeckte Geschützmetall.
Ich dachte nicht länger darüber nach, wie ich Geld verdienen könnte, damit ich nicht mehr Valentines verfluchtes Hühnerfrikassee essen müsste. Mein Bruder kann genauso gut kochen wie putzen. Ich versuchte nicht einmal, mir auszurechnen, wie gut meine Chancen standen, mich lange genug aufrecht zu halten, um ihm einen Kinnhaken zu versetzen.
Nein , dachte ich nur immer wieder, wie es scheint, hattest du noch vor zwei Tagen einen Haufen Silber und ein unversehrtes Gesicht.
Ich brauchte Mercy Underhill wie die Luft zum Atmen, und doch hoffte ich noch im selben Herzschlag, sie würde mich nie wieder sehen. Mercy konnte jeden haben. Und ich war jetzt kein verheißungsvoller Kandidat mehr, sondern ein zwielichtiger Kerl, der nichts sein Eigen nannte außer einer Narbe, die ich mir nicht anzuschauen wagte, weil sich mir allein schon bei der Vorstellung die Nackenhaare sträubten, und einem ebenso abschreckendenBruder, der sein Brot damit verdiente, dass er Whigs im Schwalbenschwanz die Köpfe einschlug.
»Ich hasse dich«, sagte ich zu Valentine und gab mir Mühe, besonders deutlich zu sprechen.
Es tat gut, wie schlechter Whiskey, der einem in der Kehle brennt. Bitter und vertraut.
»Also nimm die Stelle an, dann brauchst du wenigstens nicht mehr in meinem Bais zu schlafen«, schlug er vor.
Er fuhr sich mit den Fingern durchs lohfarbene Haar und ging zum Tisch hinüber, um sich einen Becher Rum einzuschenken. Vollkommen und ganz und gar ungerührt, was so ziemlich das Ärgerlichste an meinem ärgerlichen älteren Bruder war. Sollte es ihn auch nur das geringste bisschen kümmern, dass ich ihn hasste, könnte er es doch vielleicht irgendwie zeigen.
»Der Sechste Bezirk, das ist eine wahre Höllengrube«, gab ich zu bedenken.
»Erster August.« Valentine leerte sein Glas, dann ließ er ein zweites Mal seine Hosenträger schnalzen. Seine grünen Augen waren auf mich gerichtet, während er sich seinen schwarz schimmernden Rock überzog.
»Du hast zehn Tage Zeit, um im Sechsten Bezirk ein Bais zu finden. Wärst du Parteianhänger, hätt’ ich mehr tun können, dann hätt’ ich dir hier im Achten was besorgt, aber du bist ja nicht mit von der Partie, oder?«
Er zog die Brauen hoch, während ich versuchte, auszusehen, als wäre mir meine politische Inkompetenz herzlich gleichgültig. Aber davon tat mir der Kopf weh, also ließ ich ihn wieder ins Kissen sinken.
»Du verdienst fünfhundert Dollar im Jahr, und dazu kommt noch das, was du an Zeinerei kassieren kannst oder was du von den Bandenbrüdern, die du hopsnimmst, abkassierst. Außerdem kannst du jederzeit die barmherzigen Schwestern im Bordell bekaspern. Mir ist das schnurzpiepegal.«
»Das denk ich mir«, stimmte ich ihm zu.
»Wie ich schon sagte, ich hab alles mit Matsell arrangiert. Wirfangen beide am ersten August an. Ich werde Captain«, fügte er mehr als nur ein bisschen prahlerisch hinzu. »Eine Respektsperson in der Stadt und dazu stetig klingende Münze und genug Zeit, mich mit meinen Burschen in die Feuerbekämpfung zu stürzen. Was sagst du?«
»Ich sage, ich seh dich in der Hölle wieder.«
»Nun, das steht fest«, gab Valentine mit einem Lächeln zurück, das selbst bei einem Leichenbestatter kalt gewirkt hätte. »Denn da wohnst du ja demnächst.«
*
Am nächsten Morgen war ich im Kopf wieder so klar, dass ich einigermaßen geradeaus sehen konnte. Ich wurde vom Schnarchen meines Bruders geweckt, der auf einem Strohsack vor seinem Kamin lag und durchdringend nach Absinth roch. Auf dem Tischchen neben dem Bett lag eine Ausgabe des Herald für mich bereit.
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