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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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er, dass es klingt wie die Basspfeife einer Orgel. Die Inkarnation eines amerikanischen Gang-Rowdys. Wenn mein Bruder lacht, dann verzieht er zugleich das Gesicht, als sollte er eigentlich besser nicht lachen. Und das sollte er auch nicht. Nie hat eine finsterere Seele die schwärenden Straßen von New York in ordentlich gebürsteten schwarzen Rockschößen heimgesucht.
    »Das hättest du sehen sollen, Tim«, schloss Val mit einem schiefen Grinsen. »Die Langfinger waren im Nu am Schenegeln, und zwar kräftig. Teufel noch mal, ich hab da einen alten Knacker gesehn, bestimmt siebzig war der und hatte so viele Stinknägel gerafft, dass er sie in seiner Pludexn wegschleppen musste. Mit zwei Bindfäden hat er den Stoff unten an den Knöcheln zusammengebunden und dann von oben aufgefüllt.«
    In dem Augenblick wurde mir klar, was mit mir, von den richtigen Verletzungen einmal abgesehen, nicht stimmte: Ich war bisobenhin voll mit Laudanum. Mein Bruder hatte mir, nachdem der Arzt gegangen war (hoffte ich jedenfalls), eine so hohe Dosis verpasst, dass die Vorstellung von bis zum Rand mit Zigarren gefüllten Männerhosen mir wie ein Alptraum vorkam. Valentine passt auf wie ein Schießhund, wie viel Essig in seine Fischsoße hineinkommt, und achtet immer darauf, dass die Milch für seinen Kaffee gekocht hat, aber ein Mann, der ständig solche Mengen von Drogen im Blut hat, wird bei der Dosierung von Opiaten nicht ohne weiteres das richtige Maß finden. Unterdessen nagte ein seltsamer Schmerz wie mit Reptiliengiftzähnen an der einen Seite meines Kopfes. Ich wollte spüren, was das war. Vielleicht herausfinden, woher es kam.
    »Lass die Zigarren. Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte ich mit schwerer Zunge.
    »Ich habe dich auf der Battery gefunden, mitten in einer Hochburg der Heiligen Schrift. Einer der Feuerwehrmänner hat dich umringt von Mitgliedern der Bibelgesellschaft gesehen: flach auf dem Rücken und alle Lichter gelöscht – ich hab dir doch gesagt, du sollst zu ’nem Knochenbrecher gehen, du Riesenrindvieh –, jedenfalls erkennt natürlich jedes Parteimitglied meinen Bruder sofort, drum haben sie mir gleich eine Nachricht zukommen lassen. Die Frömmler haben Wache gehalten neben deinem Beeker und ihren eintausendzweihunderteinundsechzig Bibeln, die sie aus der Nassau Street gerettet hatten.«
    Ich sah vor meinem inneren Auge die Umrisse von drei Männern in dunklem Pfarrertweed vor dem trüben Licht der Sterne. Sie beratschlagten, ob es besser sei, einen Mann bei mir und den Bibelstapeln zurückzulassen und die andern zwei loszuschicken, um ihre Druckerpresse zu holen. Dann hatte einer vorgeschlagen, stattdessen besser einen Arzt zu holen, und die anderen meinten, er solle sich nicht lächerlich machen. Gott würde mir schon Stärke geben, vorausgesetzt, die Druckerpressen des Herrn blieben unversehrt. Zu dem Zeitpunkt war ich nicht mehr imstande, irgendwelche Einwände zu erheben.
    »Als ich kam, haben sie dich mir übergeben«, fuhr Val beiläufigfort und zupfte sich ein verirrtes Stück Tabak von der Zunge. »Du hast zwei übel gequetschte Rippen und ... nun ja, sonst nichts, was dich lange zwingt, bettlägerig zu bleiben.«
    »Tut mir ja sehr leid, dass du meinetwegen das Feuer verpasst hast.«
    »Wie auch immer, ich habe uns beide problemlos untergebracht«, verkündete Val, als würden wir zu einem Thema zurückkehren, das wir versehentlich aus dem Blick verloren hatten. »Wir haben jetzt beide eine neue Beschäftigung, mein lieber Tim. Eine, bei der du dich fühlen wirst wie ein Fisch im Wasser.«
    Ich achtete nicht auf ihn.
    Ich fummelte mit den Fingerspitzen an dem ölgetränkten Baumwollverband herum, der das obere rechte Viertel meines Gesichts bedeckte. Meinen Augen ging es gut, das wusste ich, denn ich konnte so klar sehen wie durch Kirchenglas, obwohl wegen der Drogen alles leicht schimmerte. Nach Vals eigenem Bekunden war es geradezu ein Wunder, dass meine schlimmsten Verletzungen ein paar gequetschte Rippen waren. Dann konnte mein Kopf ja nicht so sehr gelitten haben, oder?
    Allerdings hatte ich immer noch die Worte meines Bruders im Ohr, die er mit Bedauern, aber hastig hingeworfen hatte, schon halb auf dem Weg, um Menschen aus zusammenstürzenden Häusern zu retten. Trocken wie Schmirgelpapier hatte sich das angehört. Diese Stimme hatte ich seit Jahren nicht mehr gehört. Und als ich mir vorstellte, wie ich wohl aussah, rann mir das Blut plötzlich ganz glatt und glitschig durch die

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