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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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vorstellen, wie sie großzügig Butter auf dicke Scheiben ihres frischen Bauernbrotes strich. Das gefiel mir auf Anhieb, ich fühlte mich seltsam dankbar dafür. Sie wirkte einfach nicht geizig.
    »Was ist denn Ihr Kassenschlager?«, fragte ich freundlich, aberohne zu lächeln. Wenn ich lächelte, brannte es so heftig, als drücke man mir ein heißes Brandeisen auf. Aber einen Barmann kostet es nicht viel Mühe, freundlich zu klingen.
    »Das Dreikornbrot.« Sie deutete mit dem Kinn darauf. Ihre Stimme war leise, angenehm rau und ungeziert. »Aus drei verschiedenen Getreidesorten. Ich hab’s vor einer halben Stunde gebacken. Einen Laib?«
    »Ja, bitte. Das esse ich dann zum Abendbrot.«
    »Sonst noch etwas?«
    »Ich bräuchte noch einen Platz, wo ich mein Abendbrot essen kann.« Ich machte eine Pause. »Ich heiße Timothy Wilde, und ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ist das Zimmer im ersten Stock schon vermietet? Ich brauche unbedingt eine Unterkunft, und das scheint mir genau das Richtige zu sein.«
    Noch am selben Tag kaufte ich mir von Vals Geld eine mit frischem Stroh prall gefüllte Matratze und schleppte sie, auf die Schulter gepackt, zurück in die Elizabeth Street, wogegen meine Rippen bei jedem Schritt protestierten. Mein neues Zuhause hatte zwei Zimmer: das Hauptzimmer maß zwölf auf zwölf Fuß und hatte zwei niedrige Fenster, von denen aus man auf die Hühner im Hof darunter blickte. Den fensterlosen Schlafverschlag ließ ich fürs Erste ungenutzt und schlug meine Schlafstatt im Wohnzimmer auf.
    Ich legte die raschelnde Matratze vor die offenen Fenster und streckte mich darauf aus, sobald die Sonne in einem langsam verklingenden Rotschleier verschwunden war. In der Hauptkammer konnte ich wenigstens ein wenig kühles Sternenlicht atmen. Was mir sehr wohltat, denn ich fühlte mich wie der einzige stille Punkt in einer Landschaft voll fremder Geräusche. Irgendwo draußen hörte man das Gejaule eines wilden Hundekampfes. Von den deutschen Männern, die in dem belebten Nachbarhaus mit krummem Rücken über ihren Bierkrügen hockten, drang Stimmengebrumm auf die Straße. Ich vermisste meine Bücher, meinen Ohrensessel, das besondere Blau meines Lampenschirms und mein altes Leben.
    Hier würde ich also wohnen, dachte ich, und als Polizist meine Arbeit tun, obwohl keiner wusste, wie das ging, ich am allerwenigsten. Mit der Zeit würde es schon einfacher werden. Das musste es. Es hatte mich ziemlich umgehauen und dabei weit von meinem Weg weggeschleudert, jetzt kam es vor allem darauf an, nicht am Boden liegen zu bleiben.
    In jener Nacht träumte mir, ich würde Mercys Roman lesen. Diese wundervolle Saga, die sie immer hatte schreiben wollen, seit sie Der Glöckner von Notre Dame gelesen hatte. Dreihundert Seiten baumwollweiches Pergament, zusammengebunden mit einem grünen Band. Ihre Schrift floss in wässrigen Kräuselwellen über die Seiten, in einer Kalligraphie, die einen an die verrücktesten und vertracktesten Muster belgischer Spitze erinnerte. Gefertigt auf einem Nadelkopf, doch Meilen lang, sobald man sie entwirrte. Die Sorte, über der die Schöpferin erblindet.
    *
    Am ersten August um sechs Uhr in der Früh wurde ich, nachdem ich mit noch etwas Geld von Val in einem billigen Kleiderladen eine Kombination gut erhaltener Kleidung aus zweiter Hand erstanden hatte – schwarze Hosen und Strümpfe, einen schlichten schwarzen Rock mit einer blauen Weste und einem weißen Halstuch sowie ein Einstecktuch in revolutionärem Scharlachrot, gewissermaßen als vorübergehendes Zugeständnis an die Politik –, in der Hall of Justice in der Centre Street vorstellig. Zudem trug ich einen Hut mit breiterer Krempe, als ich es gewöhnt war. Ein wahrer Blickfang, doch sobald ich ihn aufgesetzt hatte, fühlte ich mich irgendwie auf sehr angenehme Weise unsichtbar.
    Die Luft vor dem neuen Polizeipräsidium wurde an diesem frühen Morgen von einem Sandsturm durchwirbelt, überall Staubkörner, die alles durchdrangen, und eine Hitze, die in einem so scharfen Winkel einfiel, dass man nicht mehr klar denken konnte – was im Grunde der Architektur angemessen war. Es dauerte, soweit ich weiß, ganze vierzehn Tage, bis das Gebäude,das sowohl Gefängnis als auch Gerichtshof war, nach seiner Fertigstellung den Spitznamen The Tombs erhielt – die Gräber. Die kohlegrauen Granitplatten lasteten schwer auf einem, sobald man ihrer nur ansichtig wurde, und pressten einem den Atem aus der Brust. Die Fenster erhoben sich über

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