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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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traditionelle Alltagsmischung von Bewohnern: Amerikaner in blauen Jacken mit dem Kragen über dem Revers und sauber gebürstetem Hut, lachende farbige Mädchen, ein Erfrischungsbad fürs Auge mit ihren kanariengelben und grellorangefarbenen Kleidern, genügsame Geistliche in brauner Wolle und dünnen Strümpfen. Es gibt Kirchen in der Spring Street und Gasthäuser, in denen es nach Schweinskotelett und gebräunten Zwiebeln riecht. Es ist nicht der Broadway nördlich der Bleecker Street, wo die sündhaft reiche gute Gesellschaft und deren Dienstboten sich gegenseitig im Naserümpfen überbieten, aber es ist auch nicht der Sechste Bezirk.
    Genau dieser war mein Ziel.
    Als ich über die Mulberry Street den Bezirk betrat, mit zwei Dollar, die mir Val gegeben hatte, wie Gift in meiner Tasche, wurde mir klar, dass es in diesem gottverlassenen katholischen Elendswinkel keine Mittel und Wege für mich geben würde. Und mein zweiter Gedanke war: Gott bewahre New York vor Gerüchten über in weiter Ferne verfaulende Kartoffeln.
    Was die Scharen von Auswanderern anging, die sich unaufhörlichauf die South Street Docks ergossen, so hatte ich nun herausgefunden, wo sie alle hinströmten: Der ganze Straßenabschnitt hier bestand nur aus Iren, Hunden und Ratten, die sich alle dieselben Flöhe teilten. Ich habe zwar nichts für die Nativisten übrig, die der Meinung sind, New York solle allein den hier geborenen, alteingesessenen Einwohnern gehören, aber ich konnte nicht anders, es graute mir. Es waren so viele, ein ständiges Wogen und Schieben, dass ich meine Aufmerksamkeit auf ein einziges Individuum konzentrierte, einfach nur, damit mir nicht schwindlig wurde. Es war ein noch etwas verschlafener, etwa dreizehnjähriger Bauernjunge mit an den Knien durchgescheuerten Hosen, der keine Schuhe trug, dafür aber blaue Socken, und der an mir vorbei zu dem Lebensmittelhändler an der Ecke stolperte. Er ging um die blassen, fauligen Kohlköpfe herum, die vor dem Laden aufgestapelt waren, und steuerte unverzüglich die Whiskeybar an. Seine Haltung entsprach ganz der des Ladens, den er frequentierte. Der Sechste Bezirk war auf einem Collect Pond genannten Sumpfgebiet erbaut worden, und wer das nicht wusste, wunderte sich, dass die Gebäude sich in so aberwitzigen Winkeln neigten, als habe man sie wie die Stücke eines Quilts an den Himmel gesteppt.
    Ich stieg über den Kadaver eines Hundes, den der Verkehr gefällt hatte, und bahnte mir weiter einen Weg durch die Menge. Die Männer schienen zielbewusst in jene Lebensmittelläden zu streben, die kein essbares Gemüse anzubieten hatten, die Hände der Frauen waren rot von der harten Arbeit, röter noch als ihr Haar, und die Kinder ... die Kinder wirkten verängstigt oder einfach bloß hungrig. Ich konnte nur einen einzigen respektablen Mann entdecken. Einen Priester mit einem vollkommen runden Kopf, blassblauen Augen und einem steifen weißen Kragen. Einer, der sich um die Ärmsten der Bewohner kümmerte, zumindest hoffte ich das.
    Nein, in der Mulberry Street gab es für einen Amerikaner keine Mittel und Wege. Außerdem köchelte mein Gesicht in dieser Hitze vor sich hin und sonderte Schweiß in den ohnehinschon schmierigen Verband ab. Oder vielleicht auch etwas anderes. Ehrlich gesagt, ich wollte es gar nicht so genau wissen.
    Mein Gesicht hatte auch vor dem Feuer nicht ausgesehen, als stamme es von Michelangelo, aber es hatte mir nie einen schlechten Dienst erwiesen. Es war oval, immer noch jugendlich gerundet, und sah dem meines Bruders ziemlich ähnlich. Eine breite, hohe Stirn, ein spitzer Haaransatz, das Haar von undefinierbarem Blond. Gerade Nase, schmaler Mund, ein etwas vorspringendes Kinn. Helle Haut, trotz unserer gnadenlosen Sommer. Allerdings hatte ich nie allzu viel Zeit damit zugebracht, über meinen Kibes nachzudenken, denn wenn ich mit der Tochter eines Ladenbesitzers, die gerade nichts zu tun hatte, oder einem Zimmermädchen mit entsprechenden Gelüsten ein nettes Stündchen verbringen wollte, dann ist mir das auch stets gelungen. Mein Gesicht ist mir also immer gut genug gewesen – ich hab noch nie für ein Mädchen bezahlen müssen; und man hat mir gesagt, ich hätte ein zurückhaltendes Lächeln, was bei den Leuten offenbar den Wunsch weckte, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen und sich dann mit einem Blechling dafür zu bedanken, dass ich so viel Geduld hatte.
    Jetzt aber hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie ich aussah. Der körperliche Schmerz war schon

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