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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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und eine fremde Person lag hingegossen über seinem Schoß.
    Ein typischer Anblick. Ich gestehe jedoch, dass das Geschlecht der fremden Person ein Schock für mich war.
    »Tim!«, rief Val. »Jimmy, das ist Tim. Er ist mein Bruder. So wie er jetzt ausschaut, sieht man das nicht, aber er ist mein gespucktes Ebenbild.«
    Der dunkelhaarige, grazile Bursche mit den faszinierend blauen Augen betrachtete mich von Vals Schoß aus und bemerkte mit einem ausgeprägten Londoner Akzent: »Natürlich ist das dein Bruder. Der ist ja reizend. Hallo, Tim.«
    Das Einzige, was ich herausbrachte – und das, wie ich zugebenmuss, die Situation nicht annähernd beschrieb –, war: »Es ist etwas Schreckliches passiert.«
    Val leuchtete geradezu von dem Morphium, dem er sich nach einer Parteiversammlung immer hingab. Die verstreichenden Sekunden tropften ihm aus den Augen wie Blut aus einer Wunde. Dann hatte er plötzlich verstanden.
    »Hopp, hopp, mein hübscher Soldat, troll dich«, sagte er, und schon war der unbekannte Bursche namens Jimmy vor die Tür gesetzt – zurück blieben ein bis oben mit Rauschgift angefüllter Polizei-Captain und sein furchtbar erschöpfter jüngerer Bruder. Und beiden fehlten jeweils entscheidende Informationen.
    »Mein Gott«, sagte ich entgeistert und ließ mich in den Korbstuhl sinken, der ein paar Zoll von Vals Sofa entfernt stand. Wir saßen unter einem kunstvoll ausgestopften amerikanischen Adler mit rot-blauer Beflaggung, dem man Pfeile in die schuppigen Klauen geklebt hatte. »Ich fasse es nicht. Jetzt hast du auch noch invertierte Unzucht auf deiner Liste stehen.«
    »Auf welcher Liste?«
    Drogen, Alkohol, Bestechung, Gewalttätigkeit, Hurerei, Spielsucht, Diebstahl, Betrug, Erpressung, hakte ich im Geiste ab, dann gab ich es auf, es war sinnlos.
    Val führte die zur Muschel geformte Hand zum Mund und schrie einem Kumpel auf der anderen Seite fröhlich etwas zu, da begriff er, was ich gerade gesagt hatte, und drehte sich aufrichtig überrascht zu mir um. »Moment mal, mein kleiner Tim. Was meinst du denn damit?«
    »Nachdem ich den Burschen gesehen habe, der da gerade gegangen ist ...«
    Valentines gerötetes Gesicht war voller Spott, als er zwei riesige Gläser mit einer glasklaren Flüssigkeit aus einem kleinen Steinkrug füllte. Ich roch den Anis und das bittere Feuer sorgfältig destillierter Spirituosen und sehnte mich nach einem Schluck. »Ganz ruhig, Brüderchen. Der liebe Jim ist ein Kumpel von mir.«
    »Das konnte ich sehen.«
    »Herrgott, Timothy, jetzt hör mir mal einen Moment zu, dann werde ich dich über ein paar grundsätzliche Dinge aufklären. Was die Invertierten angeht, da dich das so interessiert.«
    »Lieber nicht. Aber ich sehe schon, es muss sein ...«
    Meine unheilvolle Andeutung von vorhin hatte er offenbar wieder vergessen – und das hatte ich, ehrlich gesagt, aufgrund des schockierenden Anblicks ebenso. Val drückte mir mein Glas fest in die Hand. Ich nippte an dem Getränk und fand es herrlich. Es rann mir brennend wie eine sündhafte Version des Heiligen Geistes die Kehle hinunter.
    »Lass es uns mal so formulieren«, sagte mein Bruder, »wenn du dich von den Ladies fernhältst, von allen und zu allen Zeiten, und dir stattdessen deinesgleichen suchst, und nimmst gewohnheitsmäßig die Hintertreppe, wenn du mit ihnen ins Bett steigst. Dann bist du ein Schwuler. Hab ich recht?«
    Ich nickte stumm. Das war unbestritten.
    »Und jetzt mal gesetzt den Fall, du selbst bist befreundet mit einem Schwulen, nennen wir’s mal so – übrigens ein feiner junger Demokrat, er wohnt hier –, und der mag dich und möchte dir riesig gerne ab und zu eine Freude auf Französisch bereiten, so zum Spaß. Das hast du jetzt kapiert, oder?«
    Hatte ich. Und ich nahm hastig noch einen großen Schluck, während ich mich an die Nacht vor langer Zeit erinnerte, in der ich jenen besonderen Akt zum ersten Mal gesehen hatte, als eine Hure in einer Gasse auf einer Kiste saß und sich mit dem Mund ihr Abendessen verdiente.
    »Und dann, sagen wir mal, lässt du ihn halt ab und zu, und alle sind zufrieden, und es ist nichts Böses passiert! Was ist daran jetzt invertierte Unzucht?«
    Ich schüttelte heftig den Kopf, nach links und nach rechts, wie um damit meine interessanten, aber im Moment irrelevanten Gedanken über mein Bruderherz durch die Ohren aus dem Kopf hinauszubefördern. Damit ich mich stattdessen auf die relevanten konzentrieren konnte. Auf jene Probleme, für deren Lösung ich

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