Der Teufel von New York
Leiche erfahren, ihn identifiziert und am späten Nachmittag die Reise zu der Grabstelle angetreten. Zweifellos war Liam tags zuvor noch am Leben gewesen und hatte bei Silkie Marsh gewohnt, denn der Satz Sie werden ihn in Stücke reißen ist ohne jeden Zweifel ein Ausdruck des Futur. Bird Daly, so dachte ich, hat der Himmel geschickt. Bird Daly war eine Lügnerin, die wie eine Kompassnadel die Wahrheit anzeigte. Da vernahm ich das Klatschen einer Peitsche auf nacktem Fleisch.
»Wird da jemand geschlagen in Ihrem Etablissement, Madam Marsh?«, fragte ich mit Stahl in der Stimme.
»Ja«, sagte sie und ließ, speziell für mich, eine leichte Röte in ihre Wangen steigen. »Aber ich versichere Ihnen, dass Mr. Spriggs für diesen Dienst im Voraus ein Extratrinkgeld gezahlt hat. Wenn Sie gestatten, Mr. Wilde, würde ich gern Liams Beerdigungskosten übernehmen. Es werden alle am Boden zerstört sein, wenn sie von seinem Tod erfahren.«
»Das wäre eine schöne Geste«, pflichtete Val ihr lächelnd bei.Unter äußerster Willensanstrengung konnte ich mich gerade noch dazu bringen, nicht die Augen zu verdrehen.
»Sind Sie sicher, dass keine Ihrer ... Schwestern ... vermisst wird?«, fragte ich als Nächstes.
»Weshalb fragen Sie das, Mr. Wilde?«
»Wir sorgen uns um alle Unschuldigen in der Gegend«, lautete meine schlichte Antwort.
»Hier gehen die Menschen den ganzen Tag über ein und aus wie in einem Feuerwehrhaus«, sagte sie mit einem resignierten Schulterzucken, das unmittelbar auf Val gemünzt war. »Aber heute beim Abendessen hat niemand gefehlt, falls Sie das beruhigt.«
»Könnten wir in dem Fall einen Blick in Ihren Keller werfen, Madam Marsh?«
»In meinen Keller? Sind drei Dollar genug, um die Kosten einer einfachen Zeremonie zu decken, Valentine?« Sie zog die Hand aus einer roten Samtbörse und legte ein paar Münzen in die Hand meines Bruders. Ihre Fingerspitzen verweilten kurz dort. »Selbstverständlich können Sie meinen Keller sehen. Aber wozu nur?«
»Bloß so eine Laune von mir«, antwortete ich, während Val die Beute in die Tasche steckte.
Wir gingen mit einer Öllampe in den Keller hinunter. Wie ich mir schon gedacht hatte, gab es dort nichts zu sehen. Und zwar ein ziemlich arrangiertes Nichts. Es war ein viereckiger Raum mit Wänden aus Lehm, die Luft kühl und für einen unterirdischen Raum recht gut belüftet, mit ein paar unordentlich aufeinandergestapelten Kisten und einer etwas unheimlichen Ankleidepuppe in der Ecke, gespickt mit Nadeln, die im Licht funkelten. Alles sehr sauber. Zu sauber für einen Keller – keine Spinnweben, keine Kakerlaken, dabei sind im Sommer alle Keller voll davon. Wenn Liam hier verblutet war und nicht in dem Abfallkübel, wie Birds Kleid mir bereits verraten hatte, so war davon jede Spur getilgt.
Und dann packte ich eine vorbeifliegende Idee beim Schopfe.Eine ziemlich flotte Idee. Ein Schauder der Erregung durchfuhr mich.
»Das ist eine gute Tat von Ihnen, dass Sie Liams Beerdigung bezahlen«, sagte ich leichthin und drehte mich dabei um. »Ich frage mich gerade, ob all Ihre Schwestern so ... so großzügig sind wie Sie. Sollte dem so sein, würde ich gewiss gern eine treffen.«
»Gute Idee, Tim«, stimmte Val mir zu und zog eine halbe Zigarre aus seiner Tasche. »Gönn dir auch mal ein bisschen Spaß.«
»Ich kann glücklicherweise behaupten, dass wir alle in diesem Haus großzügige Seelen sind«, erwiderte Silkie Marsh mit einem wissenden Lächeln. »Kommen Sie, gehen wir hinauf. Ein paar meiner Mädchen sind sehr einsam heute Abend.«
Oben im Salon leerte ich mein Glas Champagner, und sie schenkte uns allen dreien nach. Ich setzte mich breitbeinig in betont männlicher Haltung hin, wie ich es bei meinem Bruder schon tausendmal beobachtet hatte, und warf ihm unter meinem Hut hervor einen schrägen Blick zu. Er hatte seine Zigarre angezündet, und der Geruch kroch schleichend wie ein Geist durch den Raum.
»Rose ist heute frei, und sie würde sich freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Wilde«, sagte Silkie Marsh zu mir. Sie saß auf der Lehne des Sessels, in dem mein Bruder Platz genommen hatte.
»Ich frage mich ...«, sagte ich und räusperte mich, »sehen Sie, ich bin in meinem Geschmack ein bisschen ... eigen. Ich mag keine ... erfahrenen Frauen. Solche, die schon Dutzende von Männern gehabt haben. Ich lasse mir gerne Zeit, bring den Schätzchen ein oder zwei Sachen bei, damit sie auch ihren Spaß haben. Wie alt ist Rose denn?«
Silkie
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