Der Teufel von New York
allem Anschein nach jetzt bezahlt wurde.
»Wir haben neunzehn tote Kinder, Val. Zusätzlich zu dem einen, das wir uns schon angesehen haben.«
Das Gesicht meines Bruders färbte sich dunkel. »Was?«
»Zwing mich nicht, es noch einmal zu sagen.«
Val schien, ganz untypisch für ihn, zu verstehen. Er beugte sich vor, um mir zuzuhören. Ich packte aus. Ich erzählte ihm fast alles, auch die Geschichte von der gespenstischen Erscheinung des blutbesudelten Mädchens, und wie sie uns auf Liams Tod aufmerksam gemacht hatte, und erklärte ihm, dass Bird Matsell, Piest und mich zu dem schrecklichen Fund unter der flachen Erde geführt hatte. Ich ließ nur eines aus, nämlich dass Bird jetzt bei mir wohnte. Ich wusste einfach nicht, wie ich das meinem Bruder erklären sollte. Dabei waren wir beide in gewisser Weise taub für den anderen. Valentine schien zum Beispiel nicht recht zu verstehen, warum Silkies Bordell so wichtig sein sollte, nicht einmal, als ich ihn auf die hohen Opferzahlen hinwies.
»An jeder Ecke gibt es Schofelkitts, und sie sind alle gleich, jeder hätte Hand an die Schratzen legen können«, sagte er scharf. Die Drogen machten ihn reizbar, um nicht zu sagen so wirrköpfig wie eine Hure mit einer sicheren Schlafstatt. »Diese toten Kinder können unmöglich alle aus einem Haus stammen. Außerdem sind die Kinder bei Silkie viel älter. Und warum sollte sie ihre eigene Einkommensquelle zum Versiegen bringen? Es ist einfach unsinnig zu glauben, sie sei darin verwickelt.«
»Bird kam von da«, wiederholte ich. »Und Liam, der Junge, dem man ein Kreuz in den Leib geschnitten hat. Du erinnerst dich an ihn, ja? Der abgeschlachtete Junge, den ich für dich identifizieren sollte? Ich hab ihn identifiziert und haufenweise andere gefunden. Möchtest du von dieser monströsen Frau ablenken, weil du mit ihr geschiebert hast oder weil du meine Faust aufs Kinn kriegen willst?«
»Weil sie der Partei viel Geld einbringt. Du kennst sie ja nicht mal, wieso nennst du sie monströs?«
Ich raufte mir die Haare. »Vielleicht weil sie Kinder einstellt, damit sie für sie anschaffen?«
»Was faselst du da die ganze Zeit? Die sind nicht jünger als fünfzehn. Wie alt warst du denn, als du zum ersten Mal das Kleid einer Puppe im Gras grün gefärbt hast, Timmy? Oder hast du das noch nicht?«
»Sechzehn. Bird Daly ist zehn Jahre alt . Begreifst du den Unterschied? Bitte sag, dass du das tust.«
Hierüber geriet er ins Brüten. Nachdenklich strich er mit dem Daumen über den Bogen seines dichten Haaransatzes. Als das nicht half, faltete er die Hände und hielt mit ihnen sein Knie fest.
»Das ist viel zu jung«, gab er zu. »Bist du sicher, dass sie aus Silkies Haus kommen?«
»Bist du nicht ganz gescheit oder hat dir nur das Morphium die Sinne umnebelt?«
»Getäuscht worden bin ich«, schnauzte er. »Silkie weiß es immer vorher, wenn ich komme.«
»Aber sicher. Willst du wissen, warum ich so wütend auf dich bin?«
»Eigentlich nicht. Das bist du seit 1828 ...«
»Ich bin wütend auf dich«, zischte ich, »weil wir diese Frau jetzt sofort in diesem Moment vernehmen sollten, stattdessen streite ich mich hier mit dir über die Prinzipien der Unzucht und darüber, ob man mit zehn Jahren zu jung ist, um als Dirne zu arbeiten.«
Mein Bruder stand auf und leerte sein Glas. Ich tat es ihm nach und spürte, wie das gottlose Gebräu mir dickflüssig und süß bis in die Gedärme rann. Ein spitzbübisches Lächeln erschien auf Vals Gesicht. Es verwandelte den Mann mit den Tränensäcken unter den Augen irgendwie in einen Jungen in kurzen Hosen.
»Was bist du für ein Polizist, Tim!«, sagte er und rieb wie immer Salz in die Wunde. »Was für eine Begeisterung ! Hab ich es nicht gesagt? Doch, hab ich. Viel besser als meine Streifenpolizisten, die haben den ganzen Tag noch nichts ausgegraben. Lass uns Silkie einen Besuch abstatten. Und wenn du mit einer schiebern willst, kann ich das arrangieren. Geht aufs Haus.«
*
Es ist nicht leicht, Silkie Marsh zu beschreiben, wenn man sie direkt ansieht. Dann ist alles irgendwie verfälscht. Daher beschreibe ich besser, wie sie in einem der riesigen venezianischen Spiegel in ihrem Salon aussah, umgeben von vergoldeten, mit lilafarbenem Samt bezogenen Walnussmöbeln, im Schein eines Kristalllüsters, der funkelte wie das Innere eines geschliffenen Diamanten.
Sie hatte ein schlichtes, aber perfektes schwarzes Satinkleid an, wie es die Theaterkurtisanen tragen, was mich auf den Gedanken
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