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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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Wälder hinein und weg von dem, was man gemeinhin für Zivilisation hält, desto stärker scheint die Insel einen zu beobachten. In New York gewöhnt man sich irgendwann daran, von tausend Augen beobachtet zu werden. Aber wenn man sich in den Außenbezirken befindet, wo sich der Himmel träge und klar über einem erstreckt und die Vögel einander Unsinn erzählen und das Gras unter einem Geheimnisse raunt ... da verlässt einen dieses Gefühl nicht mehr. Irgendetwas beobachtet einen hier immer; an jenemNachmittag waren es glänzende graue Steine und Schwarzeschen. Und die Annahme, dieses Etwas sei einem freundlich gesinnt, fällt nicht immer leicht.
    Denn das ist es nicht. Es kann sogar ziemlich gnadenlos sein.
    Als wir hinter den Steinvorsprung traten – an die Nordseite –, erwartete uns ein furchtbarer Anblick. Es war eine erst jüngst umgegrabene Wiese, die vor lauter frisch erblühten Wildblumen erstrahlte. Vor allem Butterblumen, und Klee, unter das zarte Gras gemischt. Unschuldig und wunderschön, so grün und so gelb, dass es in den Augen schmerzte.
    »Gott im Himmel«, murmelte ich.
    »Nun graben Sie schon«, sagte Matsell.
    Dieses Feld war groß. Es war groß, und es war nur oberflächlich umgegraben, und nichts auf der Welt konnte erklären, warum es überhaupt da war. Alles, was ich denken konnte, als ich auf den Streifen frischen Pflanzenwuchses blickte, war: Das ist viel, viel zu lang und zu breit.
    Aber diesen Teil der Geschichte werde ich auslassen. Dieser Teil besteht nur aus Fakten, und zwar aus düsteren. Er enthält keine Gründe, keinen Sinn. Und überhaupt, trotz der Hitze und trotz der schweißtreibenden Arbeit dauerte das alles bei weitem nicht lang genug. Welcher Gott auch immer uns dabei zugesehen hat, ob es nun der protestantische oder der katholische war, ich habe keine Vorstellung, was er empfunden haben mag, als wir im selben Augenblick auf einen dünnen, weißen Knochen und einen verwesenden Arm stießen, jeweils mit einem groben Knacken der Schaufel. Wem die Schaufeln gehörten, weiß ich nicht mehr. Vielleicht waren es Matsells und meine, vielleicht Piests und meine, aber ich erinnere mich genau, wie mein eigenes Werkzeug auf etwas anderes als Erde stieß. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen.
    Und alles nur zwei Fuß tief. Die Erde darüber immer noch weich, das Fleisch darunter ebenso, und die Würmer ganz wild auf jeden Zoll dieses lehmigen Matsches. Es war gar nicht der Arm, der mich so durcheinanderbrachte, auch wenn die Fingernägelsich ablösten und die Haut grünlich in die Grasnarbe schmolz. Aber daneben – die toten Finger klammerten sich fast zärtlich an das Objekt – lag ein weiterer Knochen. Er gehörte zu einem Fuß, der deutlich stärker verwest war.
    Dieser Knochen sagte mir sogleich: Viel mehr als nur einer . Und das Fleisch sandte einen Geruch nach oben, als wolle es sagen: Findet uns .
    Bitte, findet uns .
    Wir schufteten unermüdlich an jenem Tag, schaufelten die schwere Erde weg von dem, was einst Kinder gewesen waren. Doch etwas ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es gibt Augenblicke, in denen man feststellt, dass man Respekt für einen Menschen hegt, und dann wieder gibt es Augenblicke, in denen man erkennt, dass man auf der Seite dieses Menschen steht. Der Augenblick, in dem George Washington Matsell die Anweisung gab, Bird von dem Anblick ihrer verwesenden Gefährten fernzuhalten, war der Moment, in dem ich für das Abzeichen auf meiner Brust und für den Mann, der mir so weit vertraute, dass ich es tragen durfte, etwas ganz Neues empfand.
    »Bringt sie weg von hier«, sagte Polizeichef Matsell, ohne zu Bird hinüberzusehen.
    Ich ließ meine Schaufel fallen. Verfluchte mich, dass ich nicht schon längst daran gedacht hatte, auch wenn wir erst drei Minuten zuvor auf die erste Leiche gestoßen waren. Ich rannte zu Bird, die erstarrt in einem Kissen aus Klee stand, die Lippen zusammengepresst, um nicht schreien zu müssen, und ich hob sie schweigend hoch und trug sie hinter den nächsten glänzenden Steinfelsen, der ihr die Sicht auf den unheilvollen Anblick versperrte.
    »Ich geh nicht zurück«, schwor sie erneut und krallte sich mit Todesangst in mein Hemd.
    »Nein, das tust du nicht«, stimmte ich ihr zu, auch wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich es anstellen sollte, dieser kleinen Kindermusche Unterschlupf zu gewähren.
    Bis zu dem Augenblick war ich kein Polizist gewesen, aber als ich Bird im Arm hielt, die so heftig

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