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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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Das war eine so eindrucksvolle Tat, dass ich ihn dafür nicht einmal verabscheuen konnte. »Du denkst also, es könnte auch jemand anders gewesen sein, nicht unbedingt eine miese Whig-Ratte bei der Polizei – davon dürfte es sechs oder sieben bei uns geben – oder vielleicht ein Polizist, der sie nicht mehr alle im Oberstübchen hat. Jemand, der versucht, den Mob gegen die Iren aufzubringen, weil alle Söhne irischer Mütter die Demokraten wählen. Noch besser gefällt mir, dass du glaubst, du könntest herauskriegen, wer der Verfasser ist, wenn du dir den Brief nur lange genug anschaust. Das ist großartig! Aber wenn ein Briefwie dieser entdeckt wird, hat die Partei einen Krieg am Hals. Jeder halb verhungerte Paddy, der aus dem Boot steigt, wird zu einem loyalen Demokraten, sobald er kapiert hat, wer seine Freunde sind, wer ihm unter die Arme greifen wird, und ich wäre den Iren ja ein schöner Freund, wenn ich zuließe, dass den Whigs dieser Quatsch in die Hände fällt – wir wären sofort als unamerikanisch verschrien, würden im Skandal untergehen. Wir wären abgewählt, bevor wir bis drei zählen könnten.«
    »Und Gott behüte, dass die Partei Schaden nimmt«, fauchte ich.
    »Du sagst es, mein Kleiner.« Er grinste. »Danke, dass du mir dieses blasphemische Stück Papier gebracht hast, Tim, du lagst goldrichtig mit der Annahme, es sei für mich bestimmt, und danke auch für den Kaffee. Das war richtig fein von dir. Wenn du jetzt die Güte haben könntest, dich zu verpissen, so wäre ich dir höchst verbunden.«
    *
    Ich stand in der Spring Street vor Vals Haus, etwas zu heftig atmend, wusste nicht recht, wohin ich gehen noch was ich tun sollte, und überdachte meine Optionen.
    Ich konnte mir Zutritt zu Madam Marshs Bordell verschaffen und lautstark verlangen, man möge mir mitteilen, was zur Hölle dort vorging, unter Androhung von Gefängnis oder Schlimmerem. Sie würde entweder kapitulieren oder mich rauswerfen. Und im zweiten Fall wäre der Mann mit der schwarzen Kapuze gewarnt. Er würde verschwinden, ohne bestraft worden zu sein – falls er überhaupt existierte. Ich konnte auch hingehen und die Knochen, die wir in einem verschlossenen Raum in den Tombs gelagert hatten, anstarren wie ein Idiot und mich fragen, wer sie waren. Ich konnte ein missbrauchtes kleines Mädchen mit grauen Augen dazu drängen, mir Dinge zu sagen, die sie angeblich nicht wusste. Ich konnte mich beschickern. Oder sogar etwas Stärkeres finden, falls ich meinem Bruder noch mehr ähneln wollte, als ich es ohnehin schon tat.
    Am Ende wurde ich schwach. Meine Willenskraft war in einem lamentablen Zustand, mein wachsender Abscheu machte ihn nur noch lamentabler, und so ging ich zum Haus der Underhills. Vielleicht war ich ein Narr, der nur einen Augenblick lang etwas Wunderbares sehen wollte, bevor ich mir meine Unfähigkeit eingestand, einen Haufen toter Kinder zu rächen. Aber ganz ehrlich, ich dachte mir, ich könnte mir dort ein paar gute Ratschläge holen.
    Val und ich hatten die Underhills kennengelernt, als er das erste Mal eine so heftige Mischung von Giftstoffen zu sich genommen hatte, dass ich glaubte, er atme schon nicht mehr. Wir wohnten in der Cedar Street, in einem fensterlosen Raum, der Ähnlickeit mit einem Brotkasten hatte, mit einem winzigen Kocher und zwei schmalen Pritschen. Eines Abends, ich war vierzehn Jahre alt, fand ich beim Nachhausekommen meinen zwanzigjährigen Bruder, der dalag wie seine eigene marmorne Grabfigur. Nachdem ich versucht hatte, ihn wieder zum Leben zu erwecken, rannte ich kopflos vor Angst aus dem Haus und stürzte mich auf das Erste, was mir Hilfe versprach: das erleuchtete Fenster der Pfarrei neben der Kirche an der Ecke Pine Street. Als ich mit den Fäusten gegen die Tür hämmerte, öffnete sie sich und gab den Blick frei auf einen fragend dreinblickenden, ernsten Mann in Hemdsärmeln, eine blasse Frau, die beim Feuer saß und emsig nähte, und ein unvergessliches schwarzhaariges kleines Mädchen, das bäuchlings mit gekreuzten Knöcheln auf dem Webteppich lag und ein Buch las.
    Es gibt Prediger, die verstehen sich auf flammende Reden und sonst nichts, Thomas Underhill dagegen weiß, wie man mit heißem Wasser umgeht, mit Riechsalz, Brandy, Ammoniak und gesundem Menschenverstand, und an jenem Abend wandte er sie alle an. Der Blick, den er mir zuwarf, als er schließlich unser Zimmer verließ, war der denkbar freundlichste, denn es lag keine Spur von Mitleid darin. Am nächsten Morgen

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