Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
Vom Netzwerk:
einer von der Sorte, mit der man sich lieber nicht anlegen möchte.«
    Also guckte ich auch mal kurz hin.
    Rund um mein rechtes Auge bis hin zum Haaransatz war die Haut ganz frisch und doch versehrt. Ein seltsames Hellrot mit vielen flachen Wellen darin, die Haut einer Echse, nicht die eines Menschen. Und sie hatte recht. Es war so hässlich, dass es schon wieder faszinierend war. Bisher hatte ich die Statur eines Schlägers und ein passables Gesicht gehabt. Jung und gesund eben. Jetzt war ich ein Wilder, ein Schurke, der für eine Bekanntschaft oder eine Schachtel Zigaretten ungeahnte Dinge tun, ja sogar den gewaltsamen Tod riskieren würde. Mein Gesicht war ganz ungeeignet für die Arbeit eines Barkeepers. Aber einem Polizisten mit dem Sternabzeichen stand es recht gut.
    »Sollte ich meine Bandage lieber wieder anlegen, um meine Feinde nicht zu erschrecken?«, fragte ich scherzhaft.
    »Ja«, erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln, »aber es würde nur die Feinde erschrecken, denke ich. Nicht jemanden, auf den Sie nicht böse sind.«
    Ich war ihr einen Augenblick so dankbar, dass mir die Worte fehlten. Ich fand sie auch später nicht mehr.
    »Ich gehe jetzt am besten wieder an die Arbeit.«
    Bird griff nach dem dünnen Stück Stoff und verzog erschrocken das Gesicht. Sie hielt den Stoff hoch, damit ich ihn sehen konnte. Es waren überall Kohleflecken von ihren Fingern darauf, grau in grau, ein Geschmier aus Aschestaub.
    »Es tut mir leid.«
    »Das macht nichts.« Ob ich nun hässlich war, ohne Bescheid zu wissen, oder hässlich und dies wohl wissend, ich war jedenfalls ungeheuer vernarbt, also legte ich die Maske wieder an, warf das ölige Baumwolltuch in die Ecke und stand auf. »Wenn du nicht gefragt hättest, weiß ich nicht, wann ich das Tuch je abgenommen hätte.«
    *
    Ich würde gern sagen können, der folgende Nachmittag sei in irgendeiner Form ergiebig gewesen. Doch er war grauenvoll. Ich verbrachte ihn in den Tombs, wo ich mit zusammengepressten Zähnen schrieb:
    Bericht des Polizisten T. Wilde, 6. Bezirk, 1. Distrikt, Dienstnummer 107.
    Aufgrund des Verdachts auf eine gesetzeswidrige Bestattung, basierend auf der Aussage einer gewissen Bird Daly, ehemalige Kostgängerin in Madam Silkie Marsh’s Freudenhaus in der Greene Street Nr. 34, begleitete ich Polizeichef Matsell und Mr. Piest zur Kreuzung der Dreißigsten Straße und Ninth Avenue.
    Seit der Geschichte von Aidan Rafferty war mir keine Tintenkleckserei derart zuwider gewesen. Und zwei elende Tage später, die ich, wie mir schien, damit zugebracht hatte, mit so gut wie jedem in dieser Stadt zu sprechen, schrieb ich abends Folgendes nieder:
    Bericht des Polizisten T. Wilde, 6. Bezirk, 1. Distrikt, Dienstnummer 107.
    Verschiedene Lieferanten und Dienstboten befragt (Gemischtwarenhändler, Geflügelhändler, Näherinnen, Kohlehändler, Spirituosenlieferanten, Kutscher, Zimmermädchen, Tagelöhner), welche mit dem Etablissement von Madam Marsh in Verbindung stehen – ohne Ergebnis. Abgesehen von den Beschäftigungspraktiken ist dem Haus nichts Illegales nachzuweisen. Die Befragung der wenigen Einwohner in der Nähe der Straße, an der die Grabstelle entdeckt wurde, hat nichts Ungewöhnliches ans Licht gebracht.
    Die eindeutige Identifizierung der Leichen erweist sich als unmöglich. Die Befragung der irischen Bevölkerung durch Polizisten irischer Herkunft ergab keine Hinweise auf verdächtige Vorgänge. Da Eile geboten war und uns keine anderen Quellen zur Verfügung standen, führte ich, nach Einholung der Erlaubnis von Polizeichef Matsell, ein ausführliches Gespräch mit einer gewissen Miss Mercy Underhill, die durch ihre wohltätigen Werke mit der katholischen Bevölkerung in Verbindung steht. Miss Underhill, die von der Existenz der Grabstätte unterrichtet wurde, konnte uns nichts von vermissten Kindern berichten, schlug aber eine Unterredung mit ihrem Herrn Vater vor, Reverend Thomas Underhill, sowie mit Pfarrer Connor Sheehy, unter größter Geheimhaltung und in der Hoffnung, deren viele Bereiche umfassende Armenpflege könnte einen Hinweis liefern. Mit Einverständnis des Polizeichefs führte Miss Underhill ihr Vorhaben aus, jedoch ohne dass weitere Erkenntnisse gewonnen wurden.
    Müssen wir davon ausgehen, dass diese geopferten Kinder von niemandem vermisst werden? Ist das denkbar? Ist das möglich?
    Ich musste mich ungeheuer am Riemen reißen, um nicht zu schreiben:
    Und was soll ich jetzt nur tun?
    *
    Am folgenden Morgen, dem

Weitere Kostenlose Bücher