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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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kann ich Ihnen den ganzen Schlamassel verschiefern, wenn ich will . ’s gibt keinen, der Miss Underhill so aus ganzem Herzen die Treue hält«, sagte der Junge, der mir gegenübersaß und mit dem Taschenmesser an einem Fremdkörper in seiner Schuhsohle herumstocherte. »Wenn Sie mir was zum Schöchern spendieren, dann werd ich Ihnen alles plaudern, was ich weiß, Kupferglanzer – Mr. Wilde, wollte ich sagen«, wobei er meiner Begleiterin einen entschuldigenden Blick zuwarf.
    Ich saß neben Mercy in einer schmutzigen Sitzecke in einem Kaffee-Etablissement in der Pearl Street und starrte auf ein außergewöhnlich waschechtes Exemplar eines New Yorker Zeitungsausrufers. Dieser hier hatte offenbar das respektable Alter von zwölf erreicht, denn die Zigarre in seinem grinsenden Mund verriet viel Übung, und seine blaue Weste und die knielangen lila Hosen saßen wie angegossen. Er hatte also genügend Erfahrung im Zeitungsverkauf, dass er es sich leisten konnte, seine Kleider dem Wachstum anzupassen, und außerdem mögen Kinder keinen Kaffee. Rum schon. Aber keinen Kaffee. Der Junge,der sich als Alle Neune vorgestellt hatte, mochte Kaffee sehr. Wir waren kaum angekommen, und er war schon bei seiner zweiten Tasse. Und jetzt verlangte er, wie zu erwarten war, etwas Stärkeres.
    »Wie wär’s, wenn du erst plauderst«, antwortete ich.
    Alle Neune verzog missmutig das Gesicht. Er hatte sehr blondes Haar, wie ein Kanarienvogel, seine Muskeln waren besser entwickelt, als es normal gewesen wäre, weil er sie bei vielen Schlägereien trainiert hatte, und er hatte irgendwo eine goldene Damenlesebrille geklaut, die er, wenn er seiner Rede besonderen Nachdruck verleihen wollte, abnahm und mit einem scharlachroten Tuch polierte.
    »Ist ja nicht so, dass ich mir nicht selber einen ausgeben könnt, nicht wahr? Freies Land und so. Toady!«, rief er den Wirt. »Zwei Franzosenbrändlinge, wenn ich bitten darf!«
    Der Barkeeper kam sogleich mit zwei Brandys an. Alle Neune zahlte sie höchst stilvoll, das muss ich schon sagen. Den einen Drink reichte er Mercy.
    »Warum sind Sie denn bloß weggerannt?«, sagte er schmeichelnd. »Das ist gar nicht recht für so eine zuckrige Mandel, und dann kommen Sie mit ’nem Glanzer wieder, der ganz so aussieht, als wollt er mich ins Bollerbais stecken.«
    »Ich habe nicht die Absicht, dich festzunehmen«, lautete meine Übersetzung und Antwort in einem.
    Er achtete nicht auf mich. »Wär doch feiner, wir wären allein, Miss Underhill.«
    »Meinst du?«, fragte sie mit einem schiefen Lächeln, reichte mir ihr Glas und achtete nicht auf das des Jungen, an dem er bereits nippte.
    »Aber klar doch!«
    »Und wenn ich dir sage, dass ich, obwohl ich deine Gesellschaft sehr schätze, doch nicht immer ganz verstehe, was du mir sagst?«
    Alle Neune lief rot an. Flirten war offensichtlich etwas Neues für ihn, und dass man das merkte, war ihm peinlich. Der Anblickdauerte einen. Wie ein neugeborenes Fohlen, dessen Beine umknicken. Er nahm die Zigarre aus dem Mund, tunkte das Ende in seinen Kaffee und schob sie wieder zwischen die Zähne.
    »Ich barl nun mal keine andere Loschen, ja? Hab ich etwa Oltrische gehabt, die mich zu ’nem Schreiberling in die Lehre geschickt hätten? Bin nich gebildet. Bloß verliebt«, fügte er schelmisch hinzu.
    Zum Glück sah ich gerade auf meinen Brandy nieder, den mir – Himmel – ein Zwölfjähriger ausgegeben hatte, denn ich merkte, wie unter meiner Hutkrempe zwei Emotionen in meinem Blick aufblitzten. Die eine war schlichtweg Amüsement, was Alle Neune keinesfalls zu schätzen gewusst hätte, und die andere war zu peinlich, als dass ich es mir selbst eingestehen wollte. Ich wartete, bis es vorbei war.
    »Deshalb waren Sie nicht bei der letzten Probe«, sagte Alle Neune traurig. »Weil wir keine geweißten Schlauberger sind.«
    »Wohlhabende, gebildete Männer«, übersetzte ich.
    »Sag mal, Alle Neune, könnte es nicht sein, dass ich die letzte Probe verpasst habe, weil ich euch den Stoff, um den ihr mich gebeten hattet, schon gebracht hatte und andernorts gebraucht wurde?«, antwortete Mercy freundlich. »Vielleicht darf ich ja zur nächsten kommen, wenn du uns beiden erzählt hast, was du mir heute Morgen im City Hall Park gesagt hast?«
    Bisher hatte ich etwas im Dunkeln getappt, jetzt aber sah ich das Bild klarere Formen annehmen. Seit Jahren spazierte Mercy morgens durch den City Hall Park, mit einem Korb voller Brotreste und Verbandsstoff für all jene, die dort beim

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