Der Teufelsfürst
sich auf die gegnerische Tartsche. Kurz bevor die beiden Reiter aufeinandertrafen, änderte der Katzensteiner jedoch unvermittelt die Haltung. Erst als ihn der Stoß des Gegners beinahe aus dem Sattel hob, bemerkte Ulrich, welch fatalen Fehler er begangen hatte. Das unheilvolle Geräusch, mit dem sich die Tartsche aus dem Mechanismus löste, übertönte alles – selbst das Jubeln und Höhnen der Zuschauer. Während er darum kämpfte, seine Schmach nicht noch durch einen Sturz zu mehren, wünschte er sich, der Erdboden würde sich unter ihm auftun und ihn verschlingen.
Denn die Erkenntnis, alles verloren zu haben, schlug mit solcher Macht über ihm zusammen, dass er hoffte, der barmherzige Gott würde der Schande an Ort und Stelle ein Ende bereiten.
Kapitel 42
Ulm, ein Stadthaus, Juli 1447
Utz war sicher, dass seine Miene das widerspiegelte, was in seinem Inneren vor sich ging. »Und dann kannst du noch diese drei Fässer Wein beim Ratsherrn Rembold abgeben«, trug Martin ihm auf, obwohl der Handkarren bereits völlig überladen war. »Und wie soll ich die hier noch unterbringen?«, fragte er daher spitz. Martin lachte. »Gar nicht. So wie es aussieht, wirst du eben noch einmal laufen müssen.« Er machte eine Pause, in der er sich scheinbar nachdenklich am Kopf kratzte. »Und wenn du schon dabei bist«, setzte er hinzu, »der Kronenwirt hat noch mal eine Lieferung bestellt. Wo doch heute der große Tanz bei ihm stattfindet.« Ein Zucken um seinen Mund verriet Utz die Schadenfreude, die Martin empfand, weil sein ehemaliger Herr weder als Gast noch als Teilnehmer beim heutigen Turnier anzutreffen war. Er selbst schien sich nichts aus dem Volksfest zu machen – waren ihm doch derlei Spektakel zu sündig, wie er Utz hochtönend hatte wissen lassen. »Du kannst dir sicher vorstellen, wie viele durstige Kehlen da nach dem besten Wein verlangen werden, der mit Geld zu kaufen ist.« Utz verkniff sich nur mühsam eine Antwort, da er sich jeden Tag mehr dafür verwünschte, Hans Multschers Vorschlag gefolgt zu sein. Am Puls des Geschehens! Von wegen! Wie das übrige Gesinde über der Küche in eine winzige Kammer gepfercht, die nach Küchenabfällen und ungewaschenen Füßen stank! Er zwang sich zu einem dünnen Lächeln. Auf keinen Fall wollte er Martin die Genugtuung geben, ihn sehen zu lassen, wie sehr ihn dieser Auftrag demütigte. »Gut fürs Geschäft«, murmelte er deshalb und hievte noch einen letzten Sack auf den Karren. »In der Tat«, versetzte Martin bissig. »Und wer weiß, vielleicht ist es ja bald wieder dein Geschäft.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ließ Utz – kochend vor Zorn – stehen. Scheinbar stand es für die ehemalige rechte Hand seines Vaters bereits fest, dass der junge Mann den Rechtsstreit verlieren würde. Denn sonst würde er wenigstens versuchen, den Anschein von Freundlichkeit zu wahren.
»Was für ein verfluchter Mist«, knurrte Utz, packte die Griffe des Karrens und wuchtete diesen auf die Straße hinaus.
Holpernd und knarrend kämpften sich die Räder durch den Dreck und über Kopfsteine, während die Ladung sich gefährlich nach vorn neigte. Obgleich die Herbergen und Tavernen bis unter die Dächer vollgestopft waren mit Gästen aus dem Umland, war die Stadt wie leer gefegt. Jeder, der etwas auf sich hielt, befand sich auf der Turnierwiese vor der Stadtmauer.
Hie und da trug der Wind die Anfeuerungsrufe und Fanfarenstöße ins Herz der Handelsmetropole. Utz presste grimmig die Lippen aufeinander. Er hatte wahrlich andere Sorgen als das Gesellenstechen, auf das er sich vor einem halben Leben gefreut hatte – jedenfalls kam es ihm vor, als sei inzwischen so viel Zeit verstrichen. Verdrießlich konzentrierte er sich darauf, nicht mit den Rädern in den Abfallrinnen stecken zu bleiben. Als er endlich sein Ziel erreichte, brannten seine Schultern und Arme wie Feuer. Außerdem rann ihm der Schweiß in Strömen den Rücken hinab, da die Hitze schlimmer war als auf einem Scheiterhaufen. So fühlte es sich wenigstens an. Warum hatte er nur auf Hans Multscher gehört?
Warum war er nicht bei dem Bildhauer geblieben und hatte dort auf den Ausgang des Streites vor dem Stadtgericht gewartet? Denn so, wie es aussah, konnte sich dieser Streit noch viele Monate hinziehen! Zwar war er seinem Prokurator Jakob Löw für seine Unterstützung dankbar. Aber, wenn es dem jungen Anwalt nicht bald gelang, eine Entscheidung des Gerichtes herbeizuführen, würde Utz den Verstand verlieren! Ganz
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