Der Teufelsfürst
wenigstens einmal auf seinen Verstand hören können? Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte, doch der Schmerz hatte nichts mit den Schlägen und Stößen zu tun, die er hatte einstecken müssen.
Vielmehr schien ihn die Schmach, der Verlust der Ehre, langsam, aber sicher von innen aufzufressen. Urplötzlich fühlten sich seine neununddreißig Lebensjahre wie eine Bürde an, die er nicht länger würde tragen können. Er stieß einen weiteren heiseren Laut aus und presste die Fingerkuppen gegen die Schläfen. Was war nur aus all den Träumen vom großen Glück geworden? Warum konnte ihm diese vermaledeite Fortuna nicht wenigstens ein einziges Mal in seinem Leben hold sein?
Mit dieser Frage kehrten seine Gedanken unweigerlich zu den beiden Katzensteinern zurück, denen er die Pest, die Cholera, die Lepra und das Antoniusfeuer gleichzeitig an den Hals wünschte. Auch wenn er nicht wusste, wie die beiden Zweige dieser unseligen Familie miteinander verbunden waren, stand doch fest, dass diese Sippschaft Mitschuld trug an seinem drohenden Ruin! Er holte so tief Atem, dass seine Lunge mit einem Stechen protestierte. Irgendwie würde er sich das Verlorene zurückholen! Er wusste nur noch nicht wie. Während sich die Herberge allmählich mit lautstark feiernden Gästen füllte, starrte Ulrich lange Zeit blicklos vor sich auf den Boden und wälzte die Probleme in seinem Kopf hin und her. Etwas nagte tief in seinem Verstand an ihm, aber er wusste nicht, was es war. Als das Grübeln ein stechendes Pochen hinter den Augen hervorzurufen begann, zeigte der Gedanke, der sich die ganze Zeit über vor ihm versteckt hatte, endlich sein Gesicht.
Natürlich! Wie hatte er nur so blind sein können? Er runzelte die Stirn, als er sich den Aufzug des jungen Kaufmannes ins Gedächtnis rief. Etwas daran hatte nicht gestimmt. Und warum war der Bengel so befangen gewesen? Vor allem, als Ulrich ihn gefragt hatte, ob ihm die Knechte ausgegangen wären. Der Helfensteiner rieb sich das Kinn und kam mit knackenden Gelenken auf die Beine. Auch wenn er sich besser darum kümmern sollte, wie er den erlittenen Verlust wieder wettmachen konnte, würde er sich umhören. Wissen war Macht. Und vielleicht erfuhr er ja etwas, das ihm zum Vorteil gereichen konnte.
Kapitel 43
Albanien, Osmanisches Kriegslager, August 1447
»Iskender! Iskender! Iskender!« Das Triumphgeschrei der Akıncı scholl meilenweit durch die Nacht. Schon von Weitem konnte Vlad die Fackeln der Reiter sehen, die sich ihrem Lager von Westen her näherten. Zwar würde sich der östliche Horizont bald perlgrau färben, aber noch herrschte tiefe Dunkelheit. Wenngleich es über Nacht ein wenig abgekühlt hatte, war die Luft bereits wieder feucht und drückend. Vlads Haare klebten an seiner verschwitzten Stirn. Das Feldlager, auf dem er versucht hatte, wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu ergattern, befand sich in einem beengten Zelt, unter dessen Leinwand sich die Hitze des Tages staute. Er wischte sich die Strähnen aus den Augen und reckte die Nase in die kaum wahrnehmbare Brise. Die Schwüle drohte ihn zu ersticken.
Vlad fragte sich, wann die Wolken endlich den heftigen Regenguss bringen würden, den sie seit Langem versprachen.
Immer öfter beneidete er seinen Çokadar, da dieser – wie die anderen Diener – im Freien auf dem Boden schlief. Für einen Reiter in Vlads Stellung war solch ein Nachtlager allerdings undenkbar. Da die geschlossene, kegelförmige Unterkunft Beklemmungen in ihm auslöste, suchte er sein Lager jeden Abend später auf. Gähnend legte er vor dem Eingang des Zeltes sein Panzerhemd an, gürtete sein Krummschwert und trabte zu dem kleinen Platz in der Mitte der Zeltstadt, wo der Ağa bereits hoch zu Ross auf die Fackelträger wartete. Auf halbem Weg passierte er die Pfähle mit den sterbenden Albanern, die schon bald neben ihren Landsmännern auf dem Leichenhaufen am Ufer des kleinen Flüsschens verwesen würden.
Trotz des Zischens der Pechfackeln und des Gebrülls der herannahenden Osmanen war das Surren der allgegenwärtigen Schmeißfliegen deutlich zu vernehmen. Der Gestank, der in der Luft hing, hätte Vlad noch vor wenigen Wochen den Atem geraubt. Anders als kurz nach seiner Ankunft, ließ ihn der Geruch des Todes allerdings nicht mehr würgen; und auch der Anblick der verstümmelten Körper bereitete ihm keine Übelkeit mehr, da er gelernt hatte, die Augen der Gefolterten zu meiden. Er rümpfte die Nase, als sich ungebetene Erinnerungen in seinen Kopf
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