Der Teufelsfürst
Zehra inzwischen sowohl das Papier als auch den Boten – trotz Michels Anteil an ihren Einkünften – selbst bezahlen konnte, hatte sie der Zigeunerin irgendwann ihre Sorgen anvertraut. »Nein«, erwiderte sie niedergedrückt und füllte die Arznei in Portionen ab. »Aber der Winter ist hart, die Straßen kaum passierbar.«
Selbst in ihren Ohren klang diese Erklärung lahm. Gewiss, es stimmte, dass kaum jemand im Winter reiste. Aber Botschaften mussten überbracht und Briefe zugestellt werden. Immerhin gelang es ja auch Michel, laufend Nachrichten an den König zu schicken! Und Antwort zu erhalten! Die Tatsache, dass Utz ihr bisher nicht geantwortet hatte, konnte nur zwei Dinge bedeuten: Entweder es war auch ihm etwas Schlimmes widerfahren oder Zehras Botschaft hatte ihn nicht erreicht.
Deshalb hatte sie kurz nach Weihnachten einen weiteren Versuch unternommen und hoffte nun jeden Tag, dass der lang ersehnte Brief endlich eintraf. »Ich wünschte nur, ich würde bald etwas von ihm hören!«
Eine Woche später ging ihr Wunsch in Erfüllung. Allerdings nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Bote, der erschöpft und durchgefroren an die Tür von Michels Stadthaus klopfte, teilte ihr mit einem Kopfschütteln mit, dass er ihre Nachricht nicht persönlich hatte zustellen können. »Man hat mir gesagt, der Herr sei nicht im Haus«, berichtete er. Als Zehra erbleichte und sich entsetzt an die Brust griff, fügte er hastig hinzu: »Der Mann, mit dem ich gesprochen habe …«
»Wie sah er aus?«, unterbrach Zehra ihn. »Groß, hager, dunkelblondes Haar.« »Martin«, murmelte Zehra. »Was hat er gesagt?« Der Bote runzelte die Brauen. »Er sagte, er würde seinem Herrn den Brief aushändigen, sobald er zurück sei. Er wusste aber nicht, wann das sein würde.« Das war alles, was er zu berichten hatte. Nachdem Zehra dem Boten zum Dank ein paar Pfennige gegeben hatte, führte sie ihn in die Küche, wo er sich aufwärmen konnte. Dann flüchtete sie aus dem Haus. Die Kälte half ihr, die wirren Gedanken zu ordnen, die durch ihren Kopf wirbelten. Der erste Schreck hatte sich bereits gelegt. Denn sie nahm an, Martin sagte die Wahrheit.
Demnach war ihr Bruder also noch am Leben! Sie trottete durch die verwaisten Gassen, während sich ein Gedanke in der Tiefe ihres Bewusstseins einnistete. Konnte es sein, dass Utz deshalb nicht anzutreffen war, weil er ihre erste Botschaft erhalten und sich auf die Suche nach ihr gemacht hatte? Der 329
schneidende Wind schien plötzlich nachzulassen. War es möglich, dass ihr Bruder den wahren Mörder ihres Vaters entlarvt hatte und nun auf dem Weg war, um sie nach Hause zu holen?
Ein Schluchzen machte ihr die Kehle eng. Hoffnung, Freude und Trauer übermannten sie gleichzeitig. Trotz der klirrenden Kälte war ihr mit einem Mal so warm, dass sie anfing zu schwitzen. Die Kirche der Heiligen Jungfrau Maria tauchte vor ihr auf. Eine Weile starrte sie die abweisende Fassade des Gebäudes an, während kleine Schneeflöckchen auf ihrer Kleidung landeten und sich der Aufruhr der Gefühle allmählich legte. Dann fuhr sie sich mit dem Ärmel über die tränennassen Augen, zog die Nase hoch und betrat das Gotteshaus, um eine Kerze für Utz zu entzünden und zu beten.
Kapitel 60
Burg Katzenstein, Februar 1448
Johann von Katzenstein massierte seine schmerzenden Füße.
Bei der Jagd vor zwei Tagen hatte er sich Frostbeulen eingefangen, gegen die selbst heiße Fußbäder nichts zu helfen schienen. Zwei von drei Zehen an seinem linken Fuß waren durch hässliche, violette Blasen verunziert. Auch der große Zeh seines rechten Fußes war in Mitleidenschaft gezogen. Wenn doch nur der vermaledeite Winter endlich zu Ende wäre, dachte er mürrisch und schlüpfte in ein Paar gefütterte Schuhe. Wie jedes Jahr kroch die Kälte selbst durch die dicke Holztäfelung der Stube, dagegen konnten auch die zahlreichen Kachelöfen und Kamine nichts ausrichten. Es schien unmöglich, das alte Gemäuer zu heizen. Humpelnd trat er näher an einen der Öfen und legte die Handflächen auf die warmen Kacheln.
Gott sei Dank war Helwig in ihrer Kammer unter dem Dach verschwunden, um Krötengehirne zu zerstoßen oder sonst etwas zu tun, von dem Johann lieber nichts wissen wollte.
Während die Wärme dafür sorgte, dass der Schmerz in seinen Gelenken nachließ, fragte er sich, wann er wohl endlich zurück nach Ulm reiten und Anna wiedersehen konnte. Zwar hatte er ihr kurz vor seiner Abreise im vergangenen Herbst Geld
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