Der Teufelsfürst
Unterlippe vorgeschoben. »Lass mich!«, hatte er weinerlich gesagt und sich aus Vlads Griff gewunden.
»Vater wäre bestimmt stolz!« Vlad hatte sich auf die Zunge beißen müssen, um nicht lauthals zu lachen. Stolz! Auf einen Sohn, der nicht einmal genug Kraft besaß, um sich gegen das Unaussprechliche zur Wehr zu setzen? Einen Sohn, der sich nicht lieber bis aufs Blut geißeln ließ, anstatt in Prunk und Pracht ein sündiges Leben zu führen? Er setzte sich abrupt wieder auf, da sein Kopf unvermittelt erfüllt war mit ungebetenen Rückblicken. Ehe die Erinnerung an die Festung Egrigöz und das, was ihm dort widerfahren war, seinen Zorn ins Unermessliche steigern konnte, stieß er zischend die Luft aus und kam zurück auf die Beine. Er musste seine Waffen reinigen! Wenn er morgen wieder in die Schlacht ritt, wollte er nicht aussehen wie eine Vogelscheuche! Was er im Hinblick auf Radu unternehmen sollte, wusste er nicht. Solange ihm der Hass auf Hunyadi, Mehmet und alle anderen Feinde seiner Heimat den Verstand trübte, würde er sicher keine Antwort auf diese Frage finden!
Kapitel 59
Kronstadt (Transsylvanien), Februar 1448
Das Geräusch des knirschenden Schnees unter ihren Schuhsohlen ließ Zehra noch mehr frieren. Seit der Winter Einzug in Transsylvanien gehalten hatte, schien die Temperatur mit jedem Tag zu sinken. Ein eisiger Wind fegte über die schneebedeckte Landschaft, die in der Sonne wirkte wie aus einem Märchen. Sowohl die Gipfel der Berge als auch der dichte Nadelwald trugen ein weißes Gewand. Das wolkenlose Blau des Himmels machte den Eindruck der Reinheit vollkommen. Die Dächer und Mauern der Stadt zierten hohe Schneekappen, die an einigen Stellen vom Rauch der Kamine bereits grau gefärbt waren. Der beißende Gestank der Holzfeuer vermischte sich mit dem eigentümlichen Geruch kalter Luft und dem des feuchten Wolltuches vor Zehras Mund. Mit hochgezogenen Schultern kämpfte sich die junge Frau durch Schneewehen und Gräben, bis sie endlich das Lager der Sinti erreichte. Die Zelte der ärmeren Zigeuner versanken beinahe in den Schneemassen. Mehr als ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder waren bereits Opfer der unbarmherzigen Witterung geworden. Wann immer Zehra konnte, half sie Reyka dabei, die Kranken zu versorgen – Fieber zu senken, Husten zu kurieren und Erfrierungen zu behandeln. Diese Beschäftigung lenkte sie einerseits von der täglich wachsenden Sorge um Utz ab; andererseits half sie ihr dabei, nicht zu viel über Michel und seine gefährlichen Unternehmungen nachzugrübeln. Was geschehen würde, wenn die Ungarn herausfanden, dass er für ihren Feind, den deutschen König, spionierte, wollte sie sich gar nicht erst ausmalen. Da Friedrich III. den ungarischen Thronfolger seit Jahren gefangen hielt, würden die Ungarn sicher nicht viel Federlesens machen, sollten sie einen von Michels Boten abfangen. Zudem schien der Anführer der Sinti die Siegel auf den Kisten der Waffen zu fälschen, die er von den Kronstädtern kaufte. Auch dieser Betrug würde sicherlich streng geahndet werden.
An Reykas Wagen angekommen, stieß sie die Tür auf und schüttelte den Schnee aus ihrem Mantel. Die plötzliche Wärme und Stickigkeit machten sie schwindelig, aber die Benommenheit hielt nicht lange an. Mit vor Kälte steifen Fingen legte sie den Umhang ab und begrüßte die Kräuterfrau.
»Was gibt es Neues in der Stadt?«, fragte diese, da außer den Kleinkrämern kaum ein Sinti den Schutz der Wagen oder Zelte verließ. Im Winter wurden Kessel geflickt, Scheren geschliffen und neue Kunststücke geübt, mit denen man die Städter im Frühling unterhalten konnte. Ohnehin kamen bei Eis und Schnee kaum Zuschauer zu den Vorführungen der Jongleure, Kunstreiter und Feuerschlucker. »Die Wölfe haben angeblich letzte Nacht versucht, mit ihrem Heulen den Teufel herbeizulocken«, erwiderte Zehra mit einem Schaudern.
Sie griff nach einem kleinen Gefäß, in dem ein braunes Pulver aufbewahrt wurde. Dieses vermengte sie mit einer Handvoll anderer Zutaten und rührte so lange, bis sie die sämige Arznei erhielt, die sie und Reyka den Kronstädtern so erfolgreich verkauften. »Ich hätte nicht gedacht, dass es jemals so kalt werden könnte«, gestand Reyka nach einer Weile. Auch sie war mit Mischen und Abwiegen beschäftigt. »Dort, wo wir herkommen, gab es keinen Schnee.« Eine Zeit lang arbeiteten sie schweigend, dann fragte die alte Frau schließlich unerwartet: »Hast du etwas von deinem Bruder gehört?« Da
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