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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Leben zeigten. Wo sie sich befand, wusste sie allerdings immer noch nicht. Lediglich, dass das Schaukeln ihres Lagers von einem Wagen herrührte, der sich immer in Bewegung zu befinden schien. Die dunkelhäutige Frau, deren Name Kaliya war, saß an ihrem Lager und fütterte sie mit einer dünnen Suppe, in der winzige Stückchen Fisch schwammen. Ihr ebenmäßiges Gesicht war stellenweise mit einem roten Hennamuster bemalt. Auch ihre Hände zierten Punkte, Linien und Blumen. Jedes Mal, wenn ihr Blick auf die dunkle Schönheit fiel, schämte Zehra sich aufs Neue, weil sie die Frauen zu Beginn für Dämonen gehalten hatte. Kaliyas schwarze Augen funkelten temperamentvoll, als sie Zehra von dem Herzog berichtete, der offenbar ihr Volk anführte. Wer genau dieser Herzog Michel war, hatte Zehra noch nicht ganz begriffen. Feststand nur, dass Kaliya ihn vergötterte. Wie immer plapperte die junge Frau teils auf Deutsch, teils in ihrer eigenen Sprache, die Zehra bereits ein wenig verstand. Obgleich es ihr schwerfiel, das Alter ihrer Pflegerin zu schätzen, nahm sie an, dass sie nicht viel mehr als achtzehn Jahre zählen konnte, da sie nicht müde wurde, von dem Bräutigam zu reden, den der Herzog bald für sie auswählen würde.
    »Sobald wir das Lager aufgeschlagen haben und du aufstehen kannst, wirst du dem Herzog vorgeführt«, versprach Kaliya mit einem strahlenden Lächeln. Obwohl Zehra vermutete, dass besagter Herzog ein gerechter Mann war, zog sich ihr Magen dennoch furchtsam zusammen. Was, wenn er sie auch für eine Hexe hielt? Hatte Kaliya nicht gesagt, er wolle die Hexe von Ulm kennenlernen? Eines der Fischbröckchen wollte plötzlich nicht mehr rutschen, und sie fing unvermittelt wieder an zu husten. Die Stiche, die ihr dabei in die Lunge fuhren, ließen ihr zwar nicht mehr die Tränen in die Augen schießen. Aber als der Anfall sich endlich legte, sank sie erschöpft zurück in die Kissen. »Hab keine Angst«, beruhigte Kaliya sie, da Zehras Furcht offenbar in ihrem Gesicht zu lesen war. »Wir Sinti glauben nicht, dass du eine Hexe bist.
    Sonst wärst du sicher nicht fast ertrunken.« Sie grinste, stellte die Schale ab und angelte nach einem kleinen Tiegel, den sie mit etwas Wasser auffüllte. Als ein roter Brei darin entstanden war, griff sie nach Zehras Linker. Dann drehte sie die Handfläche ihrer Patientin nach oben, tauchte einen kleinen Stock in die Paste und begann, ein Muster auf Zehras Haut zu zaubern. »Das wird helfen, dich in Zukunft vor Unheil zu schützen«, sagte sie. Obgleich Zehra sich fragte, wie etwas Farbe sie vor Schaden bewahren sollte, ließ sie Kaliya gewähren.
    Scheinbar glaubten die Sinti – wer auch immer sie sein mochten – daran, dass die kunstvolle Bemalung von Gesicht und Händen sie vor bösen Geistern behüten konnte. Während das Muster in ihrer Handfläche Gestalt annahm, schloss sie die Augen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Das, was sie in den letzten Wochen erlebt hatte, war so unwirklich und zugleich so furchtbar, dass ihr Verstand Schwierigkeiten hatte, damit zurechtzukommen. Wann immer sie an den Gerichtsprozess und somit an ihren Vater dachte, tauchte damit auch das grässliche Bild in ihrem Geist auf, das sie niemals würde vergessen können. Sie zwang sich, die öffentliche Erniedrigung erneut in allen Einzelheiten zu durchleben. Zum einen fachten diese Gedanken einen flammenden Zorn in ihr an – einen Zorn, der ihr das Gefühl gab, ungeahnte Kräfte zu besitzen. Zum anderen schienen all die Demütigungen, all die Dinge, die man ihr zu Unrecht angetan hatte, weitaus weniger grauenhaft als die Erinnerung an … Unter Aufbietung aller Willenskraft zwang sie sich, die Tür zu dieser Kammer ihres Bewusstseins wieder zu verriegeln, ehe sie sich erneut das Gehirn zermartern konnte, wer ihren Vater vergiftet hatte und warum. Zwar wusste sie, dass es ihr nicht gelingen würde, sie für immer geschlossen zu halten. Aber im Moment musste sie alles daran setzen, es wenigstens zu versuchen. Denn wenn sie sich weiter damit quälte, würde ihr Herz irgendwann vor Schmerz zerspringen.
    Sie kehrte der verbotenen Pforte den Rücken und wanderte weiter durch ihren Kopf, bis ihr eine Idee kam, die sie mit neuer Hoffnung erfüllte. Wenn der Herzog der Sinti wirklich ein so ehrenhafter und guter Mann war, wie Kaliya ihn geschildert hatte, dann würde er ihr gewiss helfen, Kontakt zu ihrem Bruder aufzunehmen. Sie spürte, wie sich Zuversicht in ihr ausbreitete. Gewiss würde Utz

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