Der Teufelsfürst
gleichzeitig zu drängen schien. Wenn doch nur endlich einer seiner Männer mit einer positiven Nachricht zurückkehren würde! Noch immer war weit und breit keine Spur von Zehra zu entdecken – obwohl die von Utz ausgesandten Reiter inzwischen bis nach Augsburg vorgedrungen waren. Auch in dem Unterstand auf der Koppel war alles so, wie er es zurückgelassen hatte. Er hob die Hand und presste die Fingerspitzen an die Schläfe, da sich von dort ein Kopfschmerz auszubreiten drohte. Wie sollte er nur mit all dem fertigwerden, fragte er sich mutlos. Wie ohne Hilfe herausfinden, wer ihren Vater getötet hatte? Und wie konnte er Zehra vor einem Schicksal bewahren, das ihr wahrscheinlich schon längst widerfahren war? Was sollte er Jakob Fugger auf seinen Brief antworten? Und wie um alles in der Welt sollte er sich bei all diesen Problemen darauf konzentrieren, den Frühlingsmarkt vorzubereiten? Allmählich wuchsen ihm die Ereignisse über den Kopf! Er stützte die Hände auf das Fenstersims und erschrak, als ihm für den Bruchteil eines Augenblicks der Gedanke kam, allem zu entfliehen, indem er sich einfach fallen ließ. Bestürzt wich er vor der lockenden Tiefe zurück, schlug ein Kreuz vor der Brust und murmelte ein kurzes Gebet. Was war nur in ihn gefahren? Mit steifen Fingern schloss er das Fenster wieder und stand eine Zeit lang unentschlossen im Raum, ehe er mit einem Seufzen nach der Warenliste griff und das Kontor verließ. Wenn er sich nicht mit anderen Dingen ablenkte, würde er noch krank vor Angst!
Ungelenk wie ein alter Mann schleppte er sich in den Hof hinab, um im Lager den Bestand der Waren zu prüfen, die er – außer Araberpferden – auf dem Markt anbieten wollte. Obschon seit acht Jahren Einladungen zu der Messe bis nach Italien, Ungarn und in die Niederlande verschickt wurden, hatte es sich eingebürgert, beinahe ausschließlich mit typisch süddeutschen Gütern zu handeln. Denn für die Beschaffung ausgefallener Waren reisten die Kaufleute nach wie vor nach Genua und Venedig, nach Genf, Lyon, Barcelona oder Frankfurt. Wie jedes Jahr würde ein Großteil der Besucher vermutlich aus Österreich, Böhmen, Polen, Ungarn und der Walachei kommen, um Kürschnerwaren, Wein, Barchent oder Leinwand einzukaufen. Auch die einheimischen Metall-und Holzarbeiten würden wieder reißenden Absatz finden, genau wie die kunstvoll bemalten Kartenspiele, für die Ulm inzwischen weithin berühmt war. Im Gegenzug würden die deutschen Händler Stahl, Eisen, Ochsenhäute und Sklaven aus Russland und Tscherkessien erstehen können – sowie Damast aus Bagdad, arabisches Kamelhaar, indischen Pfeffer und afrikanische Straußeneier. Utz beugte sich über eines der Weinfässer und markierte es mit einem roten Kreis. Er wiederholte die Prozedur, bis er etwas mehr als sechs Dutzend Fässer gezählt hatte. Schließlich notierte er sich eine Zukaufmenge von weiteren vier Dutzend Fässern. Zudem fügte er der Liste einen Posten für Marktschreier hinzu, da diese bei den zahllosen Händlern unentbehrlich waren. Wie sonst sollte man die Käufer auf sich aufmerksam machen? Nachdem er Feder und Papier auf einer Kiste abgelegt hatte, wandte er sich den Barchentballen zu. Erneut begann er zu zählen. Er war gerade bei vierzig angekommen, als ihn ein wohlbekanntes Wiehern aufhorchen ließ.
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Mit stolzgeschwellter Brust ritt Ulrich von Helfenstein in den Hof des jungen Händlers ein. Ohne auf den Protest der Fuhrleute zu achten, bahnte er sich mit seinem Ochsenziemer einen Weg durch die schwerfälligen Lastgäule, sodass mehr als eine noch nicht festgezurrte Wagenladung zu verrutschen drohte.
»Passt doch auf!«, brüllte ihm ein vierschrötiger Kerl hinterher, dessen Gesicht leuchtete wie eine Erdbeere. Ulrich tat die Schimpftirade des Mannes mit einem gleichgültigen Schulterzucken ab und murmelte etwas Unschmeichelhaftes in seinen Bart. Dann fasste er die Zügel kürzer und lenkte sein wieherndes Reittier hocherhobenen Hauptes auf eines der Stallgebäude zu. Auch wenn der Grund für seinen Besuch bei dem jungen Katzensteiner eigentlich alles andere als weltmännisch war, fühlte er sich auf dem Rücken des feurigen Araberhengstes wie ein mächtiger Herrscher. Das Temperament und die Kraft des Tieres versetzten ihn immer noch in Erstaunen. Und jedes Mal, wenn er sich in den Sattel zog, machte sein Herz einen Sprung. Wenn er das Spiel der Muskeln unter sich spürte, wurde er beinahe übermütig vor Freude. Widerwillig sprang er vor
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