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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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zurück ins Freie zu flüchten. Dort griff er nach einem Büschel Stroh, band seinen Rappen an einem Pfosten an und rieb ihn ab. Unterdessen zuckte sein Blick wie der eines gehetzten Tieres hin und her. Verdammt! Schon bei der Ankunft im äußersten Hof des Palastes hatte ihn eine böse Vorahnung beschlichen, da ihm die Gesichter einiger Wachmänner unbekannt vorgekommen waren und ihm deren staubige Kleidung aufgefallen war. Dass sie allerdings zum Gefolge des Prinzen gehörten, hatte er nicht vermutet. Seine Augen wanderten zu dem prachtvoll verzierten Durchgang zum zweiten Hof, der von kleinen Gärten, zierlichen Brunnen und Zypressen gesäumt war. In einer der offenen Säulenhallen zu beiden Seiten des Tores erhaschte er einen Blick auf den goldbestickten Kaftan des verhassten Mehmet, der sich mit dem Großwesir zu streiten schien. Die herrischen Handbewegungen des Prinzen wirkten, als wolle er eine Schmeißfliege verscheuchen, doch schon bald schnitt eine Reihe von Feigenbäumen Vlad die Sicht ab.
    Der junge Walache ballte so heftig die Hände zu Fäusten, dass sich seine Fingernägel ins Fleisch seiner Handballen gruben. Während er bei den Waffenübungen auf dem Platz vor der Stadt beinahe so etwas wie ein Hochgefühl empfunden hatte, vertrieb die Gestalt des Prinzen alle Freude aus seinem Herzen. Radu! Die Sorge um seinen Bruder traf ihn wie ein Keulenschlag. Beinahe hätte er alles stehen und liegen lassen, um in der Schule der Pagen nach ihm zu sehen. Da dies allerdings unweigerlich eine Bestrafung und Degradierung nach sich gezogen hätte, zügelte er sich im letzten Moment und beschloss, klüger vorzugehen. Hatte der Großwesir ihm nicht versprochen, dass er seinen Bruder sehen durfte, wenn er sich in sein Schicksal fügte? Er bückte sich geistesabwesend und griff nach dem Huf seines Reittieres, um diesen auszukratzen.
    Während das Schuldgefühl, das sich in den vergangenen Tagen in ein Hinterkämmerlein seines Verstandes zurückgezogen hatte, wiederkehrte, überlegte er, wie er es anstellen konnte, zu Radu gebracht zu werden. Je länger er den Huf des Hengstes bearbeitete, desto stärker nagten die Gewissensbisse an ihm. Und als das Tier schließlich mit einem Schnauben protestierte, ließ er es mit einer gemurmelten Verwünschung los. Warten war Feigheit. Egal, was er sich vormachte, es gab keine Ausrede dafür, den eigenen, neu gewonnenen Stand nicht für die Sicherheit seines Bruders aufs Spiel zu setzen.
    Wenn er dafür bestraft wurde, musste er das eben in Kauf nehmen. Aber mit einer weiteren Last auf seinem Gewissen würde er nicht leben können. Und wenn er sich dem Sultan höchstpersönlich vor die Füße werfen musste, er würde dafür sorgen, dass Mehmet sich nicht noch einmal an Radu verging! In Windeseile säuberte er auch die übrigen Hufe des Vollblutes, nachdem er einen der Stallburschen ausgeschickt hatte, nach seinem Çokadar zu suchen. Sobald der etwa zehnjährige Knabe erschien, drückte Vlad ihm die Zügel in die Hand und befahl ihm, eine Box für das Tier zu finden. Er selbst stahl sich so unauffällig wie möglich an den Küchengebäuden vorbei in Richtung Schule, wo auch er und die anderen Lehensanwärter noch regelmäßig Unterweisung in religiösen und philosophischen Fragen sowie in türkischer, arabischer und persischer Literatur erhielten. Das Klatschen einer Rute und ein unterdrückter Schrei ließen ihn das Gesicht verziehen. Anders als die Hocas – die Lehrer der jüngeren Schüler – machten die ihnen zugeteilten Eunuchen allerdings keinen so ausgiebigen Gebrauch von ihrem Züchtigungsrecht.
    Nicht sicher, was genau er eigentlich vorhatte, streifte er durch die Gänge des Gebäudes und lauschte auf das Gemurmel der Stimmen. Wie sollte er Radu hier finden? Er konnte wohl kaum in die einzelnen Unterrichtsräume hereinplatzen und … Ja, dachte er, und was dann? Was vor wenigen Minuten noch wie ein guter Plan gewirkt hatte, schien jetzt ein waghalsiges und völlig kopfloses Unterfangen. Er schalt sich einen Narren. Ganz gewiss hatte der Prinz wichtige Gründe gehabt, den Befehl seines Vaters zu missachten und nach Edirne zurückzukehren. Vielleicht hatten ihn die Einwohner Manisas mit den dort gehandelten Rosinen beworfen, dachte er respektlos, wurde aber sofort wieder ernst. Sicherlich war es irgendeine militärische Bedrohung, die ihn so schnell wieder an den Hof gebracht hatte, und nicht die Sehnsucht nach seinen Gespielen. Er verlangsamte die Schritte und kam

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