Der Teufelsfürst
den Blick hob, schüttelte der Reisige erneut den Kopf. »Aber die junge Frau hat offenbar den Fehler begangen, eine morsche Viehbrücke für ihre Flucht zu benutzen.« Er hob bedauernd die Schultern. »Sie ist in die Donau gestürzt und wohl ertrunken.«
Einige dröhnende Herzschläge lang sah Utz sein Gegenüber wortlos an. Erst dann begriff er die Tragweite dessen, was der Mann ihm mitgeteilt hatte. Seine Schwester war tot! Genau wie sein Vater. Tot! Ohne zu wissen, was er tat, stammelte er irgendetwas Unverständliches, kehrte dem Reiter den Rücken und taumelte blindlings in einen der Ställe, um sich in einer Box zu verkriechen und den Kopf zwischen den Knien zu vergraben. Die Verzweiflung und der Schmerz, die sich seit Wochen aufgestaut hatten, brachen sich mit einem Schlag Bahn, und er ließ sich von dem überwältigenden Strudel der Schwermut davontragen. Irgendwann, lange Zeit später, ebbte die Trauer ab und er spürte, wie Zorn und ein grenzenloser Hass an ihre Stelle traten. Mit einer trotzigen Bewegung wischte er sich die Augen, rappelte sich aus dem Stroh auf und tastete nach dem Dolch an seinem Gürtel. Dafür würde der Bader mit seinem eigenen Blut bezahlen!
Kapitel 25
Edirne, Sultanspalast, Anfang April 1447
Wenngleich Vlad Draculea unter seinem Zırh gömlek – seinem Panzerhemd – schwitzte und seine verheilten Wunden juckten, fühlte er sich beinahe wie im siebten Himmel.
Seit dem frühen Morgen zogen Wolken von Osten her auf.
Wahrscheinlich würde es bald anfangen zu regnen. Dennoch hatte der Ağa, dem er unterstellt worden war, befohlen, die Pferde auf den Übungsplatz vor den Toren der Stadt zu bringen. Ein frischer Wind trug den Duft von feuchtem Gras aus dem Flachland, der sich mit den eigentümlichen Gerüchen des Meriç-Deltas vermischte. Das abgesteckte Gelände, auf dem bereits die ersten Reiter ihre Fertigkeiten zur Schau stellten, schmiegte sich an das Ufer des breiten Flusses, welcher – von zahllosen kleineren und größeren Brücken überspannt – auch die Stadt Edirne durchschnitt. In dem von ihm herbeigetragenen Schlamm bauten die Bauern Weizen, Zwiebeln und Melonen an. Winzige Fischerboote tanzten in der schwachen Strömung.
Der Rapphengst unter Vlad schien sich ebenso wie dieser über den Ausflug zu freuen, da er übermütig den Kopf nach hinten warf und ein tiefes Wiehern ausstieß. Auch Vlad hätte am liebsten gejubelt, aber er konnte es noch immer kaum glauben, dass der Ağa es ernst meinte. Nachdem der Kommandant den jungen Walachen in den vergangenen zwei Wochen unablässig von dem Stallmeister hatte schinden lassen, schien er am heutigen Tag offenbar beschlossen zu haben, dass die Geisel des Sultans genug gedemütigt worden war. Vlad widerstand der Versuchung, sich die wunde Rückseite zu reiben, die allzu oft die Bekanntschaft mit dem Gürtel des Stallmeisters gemacht hatte. Ein schiefes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
Denn im Vergleich zu der Bestrafung durch den Falakaci Başi waren die als Ermunterungen gedachten Schläge, die er – genau wie die anderen Sipahi-Burschen – hatte einstecken müssen, beinahe ein Witz.
»Mir scheint, du hast begriffen, wo dein Platz ist«, hatte der Ağa am heutigen Morgen gemeint, als er Vlad beim Ausmisten einer Box überrascht hatte. Nach einem kurzen Austausch mit dem Aufseher der Ställe, hatte er dem jungen Walachen ein knielanges Panzerhemd vor die Füße geworfen.
»Zieh das an, lass dir einen Bogen geben und sattle ein Pferd. Wenn das Boru ertönt, und du nicht bei den anderen bist, wirst du ausgepeitscht und bleibst weitere zwei Monate Bursche.«
Mit diesen Worten hatte er Vlad alleine gelassen, der sich fahrig vor Aufregung das Kettenhemd über den Kopf gezogen hatte. Dann war der junge Mann durch die Stallgassen zur Waffenkammer geflogen, hatte sich Bogen und Köcher gegriffen und in Windeseile einen Rappen gesattelt. In dem Augenblick, in dem der Borubläser das Horn an die Lippen gesetzt hatte, war er atemlos in der hintersten Reihe der Reiter zum Stehen gekommen. Und dann war er mit den übrigen zukünftigen Sipahi durch die engen Gassen der Stadt getrabt, bis sie schließlich die mächtigen Schutzmauern hinter sich gelassen hatten. Er sog die würzige, warme Luft ein und widerstand dem Drang, seinem Hengst die Sporen zu geben und einfach davonzupreschen. Denn keinen Augenblick zweifelte er daran, dass ihn der Schuss eines Bogenschützen bereits nach wenigen Pferdelängen zu Fall bringen würde.
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