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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Stattdessen tat er es den anderen Reitern gleich, brachte sein Tier an einer Absperrung aus dünnen Baumstämmen zum Stehen und legte einen Pfeil an die Bogensehne. Vor ihm – bis an den weit entfernten Waldesrand – standen in unterschiedlichen Abständen hölzerne Säulen, welche den Schützen als Ziel dienten. Als der Befehl des Kommandanten erscholl, erfüllte ein lautes Surren die Luft. Wenig später waren die Köcher leer und die Säulen gespickt mit bunt befiederten Geschossen. Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Da Vlad bereits als Knabe gelernt hatte, mit dem Bogen umzugehen, fiel es ihm nicht schwer, die Anforderungen des Ağas zu erfüllen. Erst als dieser anfing, den Takt der Schüsse mit einem glockenbesetzten Stab vorzugeben, wurden die Treffer weniger.
    Irgendwann befahl der Kommandant den jungen Reitern, einen mit bunten Fähnchen markierten Kurs abzureiten, wobei sie versuchen mussten, aus dem Sattel eine Strohpuppe zu treffen. Zuerst misslangen Vlad die Schüsse gänzlich, doch schon bald fand wenigstens jeder zehnte Pfeil das Ziel. Als der Ağa ihnen endlich eine Pause gestattete, protestierte nicht nur seine Rückseite, sondern auch seine Schulter und seine Unterarme, die von der zurückschnellenden Bogensehne bereits grün und blau waren. Kaum hatte ein junger Bursche Brot und Dörrfleisch verteilt, scholl bereits wieder die Stimme des Kommandanten über den Platz. »Seht ihr den Nachen dort drüben?«, brüllte er und deutete auf ein kleines Schiffchen im Schilf. »Stellt euch an der ersten Zielsäule auf«, befahl er. »Sobald ich den Stab hebe, reitet ihr los, springt ab, holt euch ein Tuch aus dem Boot und galoppiert zurück. Der Erste bekommt einen Burschen, der Letzte geht hungrig zu Bett.«
    Trotz seiner Erschöpfung kam Vlad schneller als die meisten anderen auf die Beine, weshalb es ihm gelang, sich einen Platz in der ersten Reihe zu erkämpfen. Als der Ağa das Zeichen gab, bohrte er seinem Hengst die Fersen in die Flanken und preschte in halsbrecherischem Tempo auf die kleine Insel aus Schilfrohr zu. Aus dem Sattel zu springen und sich nach einem der bunten Stofffetzen zu bücken, war eine einzige fließende Bewegung. Ehe seine Hintermänner zum Stehen gekommen waren, saß er bereits wieder im Sattel. Als sei der Leibhaftige hinter ihm her, donnerte er über den festgetrampelten Boden zurück zum Ausgangspunkt und streckte triumphierend den Arm mit der Trophäe in die Höhe. Kein Wort des Lobes kam über die Lippen des Ağas, aber dennoch konnte Vlad Anerkennung in seinen harten Augen lesen. »Lass dir bei deiner Rückkehr vom Stallmeister einen Çokadar – einen Fußläufer – zuteilen.« Er griff in eine Tasche seines Kaftans und warf Vlad eine silberne Kette zu, an der eine Münze mit dem Bild des Sultans baumelte. »Zeig ihm das.«
    Seine Aufmerksamkeit kehrte zu den anderen Reitern zurück. Mit einer Tirade unschmeichelhafter Worte stürmte er auf den Letzten zu und zerrte ihn aus dem Sattel, um ihn eigenhändig zu ohrfeigen. Froh, dass der Zorn eines Offiziers des Sultans ausnahmsweise nicht ihm galt, heftete Vlad den Blick auf die Münze. Versonnen drehte er sie zwischen den Fingern hin und her. Auch wenn er das Gesicht darauf am liebsten bespuckt hätte, schloss er die Finger darum und presste die Hand an die Brust. Ein Çokadar ! Endlich würden die Dinge wieder werden wie früher! Endlich würde ihm – dem Sohn eines mächtigen Fürsten – wieder ein Diener zur Verfügung stehen, der ihm Respekt entgegenbrachte. Da der Ağa immer noch damit beschäftigt war, den Verlierer zu beschimpfen, erlaubte Vlad seinen Gedanken, auf Wanderschaft zu gehen. Früher! Wie so oft in letzter Zeit tauchten Bilder aus seiner Kindheit in seinem Kopf auf: der kurzzeitige Pagendienst am Hofe des Kaisers von Konstantinopel; die strenge Ritterausbildung unter dem alten Bojaren, einem der engsten Vertrauten seines Vaters; die erste Schlacht, auf die er seinen Vater im Alter von fünf Jahren hatte begleiten dürfen; der Stolz, mit dem er seinem ältesten Bruder Mircea vorgeführt hatte, wie mühelos er sich schon im Sattel eines Pferdes halten konnte; und die süßen Annehmlichkeiten des fürstlichen Palastes in Tirgoviste. Er rollte die Schultern, da diese bereits gegen die ungewohnte Beanspruchung protestierten.
    Der morgige Tag würde ein Tag voller Schmerzen sein. Aber es würden gute, ehrliche Schmerzen sein, dachte Vlad, da sie bedeuteten, dass er endlich wieder das getan hatte,

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