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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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nicht erinnern konnte, ob der Mann jemals das Haus ihres Vaters besucht hatte, wollte sie lieber kein Risiko eingehen. »Als Gegenleistung dafür erhält besagter Lukas Herwart Informationen über den Handel seiner Konkurrenten, insbesondere mit Baumwolle und Buntmetallen. Zudem verpflichte ich, Herzog Michel, mich, ihn über drohende Engpässe, Seeblockaden, Kriege oder Fehden zu unterrichten, welche seine sicheren Handelswege bedrohen. Das sollte genügen, oder was denkt Ihr?«, fragte er an den Kaufherrn gerichtet. »Soll sie auch noch festhalten, dass Ihr mich gebeten habt, besonderes Augenmerk auf die Fugger zu richten?«
    Der Augsburger errötete. »Lasst den Unsinn«, brummte er. »Ihr wisst genau, wie ich das gemeint habe. Ich kann es nicht leiden, wenn solche Emporkömmlinge den alten Familien den Rang streitig machen!« Michel zuckte die Achseln und erhob sich. Er trat auf Zehra zu, wartete, bis sie die Tinte mit Sand abgelöscht hatte, und griff dann nach Federkiel und Papier. Als seine Hand dabei Zehras Arm streifte, rieselte ein Schauer ihren Rücken hinab. Während er seine Unterschrift unter das Schreiben setzte, stand er so dicht bei ihr, dass sie die Hitze seines Körpers spüren konnte. Ein würziger Geruch nach Pferd, Leder und Rauch ging von ihm aus, stach ihr ins Gehirn und sorgte dafür, dass ihre Haarwurzeln anfingen zu prickeln. Nur mühsam widerstand sie dem Drang, sich die Kopfhaut zu kratzen, da eine Bewegung unweigerlich zu mehr Körperkontakt mit dem Zigeuner geführt hätte. Die Muskeln in seinen Unterarmen spielten, als er die Feder zurück in den Apfel steckte, der als Halter diente. Als er sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete, spürte Zehra zu ihrem Verdruss, dass ihr plötzlich heiß war. Warum übte dieser Fremde – dem sie eigentlich grollte, weil er ihr nicht erlaubte, Utz eine Botschaft zu schicken – nur eine solche Wirkung auf sie aus? Und hatte sie nicht wirklich andere Sorgen? Ärgerlich über sich selbst, zog sie die Schultern ein und machte sich in ihrem Stuhl so klein wie möglich. An der nicht vorhandenen Farbe um ihn herum lag es jedenfalls nicht, dass sie sich zu diesem harten, manchmal grausamen, aber gleichzeitig sinnlichen Mann hingezogen fühlte! Denn kurz nachdem sie dem Herzog das erste Mal begegnet war, hatte sie zu ihrem Entsetzen festgestellt, dass sie ihre besondere Gabe verloren hatte. Kaum einer der Menschen, die sie seit ihrer Flucht aus Ulm getroffen hatte, war von einer Farbe umgeben gewesen. So vermochte sie das verborgene Wesen der Zigeuner nicht zu erkennen. Es war, als sei sie schlagartig erblindet. Zwar funktionierten ihre anderen Sinne noch, aber die ehemalige Sicherheit, mit der sie Unbekannte zuvor bewertet hatte, war wie ein vergessener Traum. Als Michel die breiten Schultern reckte, kam Zehra mit Unbehagen eine Szene in Erinnerung, die ihr kurz vor Ostern klargemacht hatte, wie unnachgiebig der Zigeuner sein konnte. Einer seiner Leute – ein Knabe von etwa elf Jahren – war kurz nach ihrer Ankunft vor den Stadttoren von einem Augsburger beim Stehlen erwischt worden. Und der Herzog hatte ihn dafür eigenhändig gegeißelt. »Ich habe den Augsburgern versprochen, dass sie nicht um ihr Hab und Gut fürchten müssen«, hatte er geknurrt, als er nach der Peitsche gegriffen hatte. Was dann folgte, hatte nicht nur Zehra den Blick abwenden lassen. Irgendwann hatte sich die Mutter des Jungen vor Michel zu Boden geworfen und um Milde gefleht.
    Doch das Herz ihres Anführers war durch nichts zu erweichen gewesen.
    Beklemmung machte sich in Zehra breit. Was würde er wohl mit ihr anstellen, wenn er herausfand, dass sie ihn bestohlen hatte? Der Aufbruch des Augsburgers lenkte sie ab.
    »Wie lange werdet Ihr hier bleiben?«, fragte dieser den Herzog. Michel zuckte die Achseln. »So lange wie nötig«, gab er rätselhaft zurück. Damit geleitete er den Besucher zur Tür.
    Nicht sicher, was sie tun sollte, hantierte Zehra mit den Schreibutensilien herum, bis der Sinti zurückkehrte. »Du kannst gehen«, sagte er, ohne sie dabei anzusehen. Das kostbare Papier verstaute er in einem verschließbaren Kasten. »Du schläfst mit Kaliya, Ribika und Vranka in der Kammer unter der Treppe. Wenn ich dich brauche, rufe ich dich.« So entlassen, sammelte Zehra Tintenfass und Federn ein und presste alles möglichst unauffällig gegen ihren Körper, um das gestohlene Blatt nicht zu verlieren. Dann huschte sie an Michel vorbei in den düsteren Gang hinaus.

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