Der Teufelsfürst
durfte, würde es ihr vielleicht gelingen, in aller Heimlichkeit einen Brief an ihren Bruder zu verfassen. Den sie dann innerhalb der nächsten Tage einem der Boten unterschieben konnte! Dieser kleine Funke der Hoffnung sorgte dafür, dass ihr Herz sich nicht mehr ganz so schwer anfühlte. Sie begann, wieder an einen Ausweg zu glauben. Seit Petros – der Handlanger des Sintiführers – vor knapp zwei Wochen herausgefunden hatte, dass sie weder zum Handlesen noch zum Tanzen, Musizieren oder Kunstreiten taugte, stand sie in den Diensten des Herzogs. »Was, in drei Teufels Namen, kannst du denn?«, hatte Petros verärgert ausgerufen, als er sie danach gefragt hatte, wie sie bisher ihr Brot verdient hatte. »Kräuterweiber und Bettler haben wir schon mehr als genug!« Und das stimmte. Zahllose Besitzlose, Verstoßene und sogar Pilger schienen sich im Laufe ihres Zuges den Zigeunern angeschlossen zu haben. »Ich kann lateinisch, deutsch und türkisch lesen und schreiben«, hatte Zehra kleinlaut gestanden, da sie nicht wusste, ob diese Fähigkeiten etwas waren, das die Zigeuner als nützlich erachteten. Wie überrascht war sie gewesen, als Petros erstaunt die Augen aufgerissen und sie augenblicklich zurück zu Michel geschleift hatte.
Und seitdem fungierte sie als dessen Schreiberin. Sie schnitt eine Grimasse, als ihr klar wurde, was für eine Ironie des Schicksals dies darstellte. Was ihr ehemaliger Verlobter Nikolaus wohl dazu sagen würde? Der Gedanke an ihn ließ sie die Nase rümpfen, aber gleichzeitig bereitete es ihr insgeheim Genugtuung, dass sie – eine Frau! – die Aufgaben eines Schreibers erfüllte. Zwar war sie kein Stadtschreiber wie Nikolaus’ Vater, aber dennoch tat sie das, was Nikolaus für reine Männerarbeit hielt.
Von Nikolaus war es nur ein kleiner Schritt zu Utz, und augenblicklich füllten sich Zehras Augen mit Tränen. Wenn der Herzog ihr doch nur gestatten würde, Kontakt zu ihm aufzunehmen! Sicherlich dachte ihr Bruder inzwischen, dass sie nicht mehr lebte. Vielleicht schwebte er sogar in Gefahr, wenn der Mörder ihres Vaters noch immer auf freiem Fuß war!
Warum sich Michel so standhaft weigerte, Zehra einen Boten aussenden zu lassen, wusste sie nicht. Aber wahrscheinlich hatte er im Laufe der Zeit zu viele hanebüchene Geschichten gehört, um ihr zu glauben, dass sie aus einer reichen Familie stammte. Zwar hätten ihm ihre Kleider und die Tatsache, dass sie lesen und schreiben konnte, ein Hinweis sein können.
Doch diesen schien er geflissentlich zu ignorieren. Sie unterdrückte ein Seufzen. Trotz der Freundlichkeit der Zigeuner fühlte sie sich mehr und mehr als Außenseiterin. Die Art und Weise, wie die Sinti das Osterfest begangen hatten, war ihr so fremd und seltsam vorgekommen, dass ihr selbst die Vorstellung von stundenlangem Frieren in der Ulmer Münsterkirche verlockend erschienen war. Wenn es doch nur irgendeinen Ausweg aus ihrem Dilemma gäbe! Sie faltete das Papier unter dem Tisch und stopfte es zwischen ihre Röcke. Mehr als einmal hatte sie seit ihrer Ankunft in Augsburg mit dem Gedanken gespielt, wegzulaufen und bei einem der reichen Händler um Aufnahme zu bitten. Immerhin waren viele davon Geschäftspartner ihres Vaters gewesen. Doch was würde geschehen, wenn sie ihr die Gastfreundschaft verweigerten? Oder, noch schlimmer, die Nachricht von dem Verbrechen, für das sie verurteilt worden war, Augsburg bereits erreicht hatte?
Und daran dürfte vermutlich kein Zweifel bestehen – waren Fuhrleute, Läufer und Handelsknechte doch mindestens genauso klatschsüchtig wie Küchenmägde. Egal wie sie es drehte und wendete, es wollte ihr einfach nicht gelingen, einen Weg aus ihrer Zwangslage zu finden. Als ob das alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, fiel es ihr außerdem zusehends schwerer, die Erinnerung an die furchtbarste Nacht ihres Lebens zu verdrängen. Immer häufiger schreckte sie aus dem Schlaf auf, weil sich die verbotenen Türen ihres Bewusstseins geöffnet hatten. Ehe die Spirale des fruchtlosen Grübelns von vorn beginnen konnte, erlöste der Herzog sie. »Schreib«, befahl er. »Hiermit bestätige ich, Herzog Michel, Anführer der Sinti, dass ich 100 Gulden von Lukas Herwart erhalten habe.«
Zehra spitzte die Ohren. Herwart? Waren nicht zwei Brüder, Heinrich und Jakob Herwart, in Ulm Handelspartner ihres Vaters gewesen? Instinktiv beugte sie sich tiefer über das Papier, sodass die Gänsefeder einen Teil ihres Gesichtes verbarg.
Auch wenn sie sich
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