Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
weder die misstrauischen Blicke noch das Tuscheln der Stadtbewohner entgangen. Schließlich wusste sie aus Ulm, was man von den Sinti dachte. Der Gedanke an ihre Heimatstadt verursachte das inzwischen wohlbekannte Gefühl in ihrer Brust, das sie so schnell wie möglich unterdrückte. Der kurze Funke des Zorns, dessen Aufblitzen in Nürnberg die Taubheit in ihrem Inneren für einige Stunden verdrängt hatte, war genauso schnell erloschen, wie er entfacht worden war.
    Die Leere war zurückgekehrt. Eine Leere, die sich immer weiter in ihr auszudehnen schien und die sie zugrunde richten würde, wenn sie nicht mit Zähnen und Klauen dagegen ankämpfte. Ehe die Schwermut sie vollends überwältigen konnte, riss sie sich zusammen und lenkte sich mit dem Beobachten der Neuankömmlinge ab. Anders als zuerst vermutet, gehörten die Bewaffneten, welche nach dem Anführer das Zelt betreten hatten, offenbar nicht zu seinem Gefolge. Denn ihre Röcke zierten nicht das gleiche Wappen. Sie schienen zwar zusammen gekommen zu sein, aber unterschiedliche Interessen zu vertreten – was an ihren misstrauischen Mienen und ihrem Gebaren abzulesen war. Innerhalb weniger Augenblicke bildeten sich drei Lager, deren Mitglieder sich argwöhnisch beäugten.
    Als Zehra auf einen Wink des Herzogs ihre Schreibutensilien zusammenraffte und an den Tisch trat, schüttelten einige der Besucher den Kopf. »Nichts Schriftliches«, knurrte der, den Zehra für den Anführer gehalten hatte. »Das, was wir zu besprechen haben, bleibt hier in diesem Zelt. Ausschließlich.« Die anderen Ritter nickten zustimmend. Ein Donnergrollen schien ihnen recht zu geben. »Wenn Ihr diese Verhandlung schriftlich festhaltet, könnt Ihr genauso gut den Strick drehen, an dem Ihr uns alle aufknüpft«, fügte der Mann hinzu. »Euch eingeschlossen.« Einen Moment lang dachte Zehra, Michel wolle dem Ritter widersprechen. Doch dann zuckte er die Achseln und gab ihr mit einer Kopfbewegung zu verstehen zu verschwinden. »Bleib in der Nähe!«, herrschte er sie an. »Ich will nicht nach dir suchen lassen, wenn ich dich doch noch brauchen sollte!« Froh darüber, der angespannten Atmosphäre zu entkommen, schlüpfte die junge Frau ins Freie und drückte sich an den Rossknechten vorbei bis an den Rand des ausladenden Vorzeltes. Dort lehnte sie sich mit dem Rücken gegen einen der starken Stützpfeiler und beobachtete, wie die Regentropfen Kreise auf die Oberfläche der Pfützen zauberten. Dort, wo größere Tropfen aufkamen, bildeten sich zuerst Blasen, die jedoch kurz darauf zerplatzten. Der bleigraue Himmel spiegelte sich verzerrt in der Oberfläche des schlammigen Wassers. Als ein Blitz in der Ferne über den Horizont zuckte, wirkte es einen Augenblick lang, als habe jemand das Firmament entzweigerissen. Wann es der Sonne wohl endlich wieder gelingen würde, die Wolkendecke zu durchdringen, fragte sie sich. Obwohl die brütende Sommerhitze an den Kräften zehrte, war sie doch besser als diese ungemütliche, niederdrückende Witterung. Das Wiehern eines Pferdes ließ sie neugierig den Kopf wenden. Wer die Besucher wohl waren? Und warum war es ihnen so wichtig, dass nichts von ihrer Unterredung nach außen drang? Heckten sie ein Verbrechen aus? Der Hinweis auf den Strick ließ darauf schließen.
    Nur mit Mühe widerstand Zehra dem Drang, sich dem Eingang wieder zu nähern und zu versuchen, wenigstens einige Brocken der Unterhaltung aufzuschnappen. Bei dem Gedanken an die furchtbare Strafe, die ihr blühen würde, wenn Michel sie beim Lauschen ertappte, fröstelte sie. Verwundert über sich selbst schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und schüttelte den Kopf. Hatte sie nicht genug andere Sorgen? Was hatte es mit ihr zu tun, was die Männer planten?
    Immerhin hatte sie nicht vor, ewig mit den Zigeunern umherzuziehen! Einen Augenblick lang gestattete sie sich den Selbstbetrug. Doch dann trat etwas Hartes an die Stelle der Leere in ihrer Brust, und sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Mit jeder Meile, die sie sich weiter von Ulm entfernten, schwand auch der letzte Rest Hoffnung, ihren Bruder jemals wiederzusehen. Nach dem Zwischenfall in Nürnberg hatte sie keinen Versuch mehr gewagt, Utz eine Nachricht zukommen zu lassen. Wenn nicht bald ein Wunder geschah, dann würde sie immer weiter in die Fremde getrieben, wie ein Stück Holz auf hoher See. Zwar rief sie sich unentwegt das Schicksal ihrer Großmutter ins Gedächtnis, der es durch Willenskraft und Mut gelungen

Weitere Kostenlose Bücher