Der Thron der roten Königin
ihrer Mutter geklagt. Ein Fluch liege auf ihrer Familie, sie müsse den Thron ihres Bruders besteigen – und das würde ihrer Mutter gefallen, auch wenn es ihren Bruder enterbe.»
«Was meint sie damit?»
Der Arzt zuckt die Achseln. «Das hat sie nicht gesagt. Sie ist ein schönes Mädchen geworden, aber furchteinflößend. Ich habe ihr jedes Wort geglaubt. Die Weissagung einer Prophetin. Ich bin überzeugt, dass sie Königin von England wird, auf welchem Weg auch immer.»
Ich schnappe nach Luft. Dies spiegelt meine Gebete wider, es muss das Wort Gottes sein, obgleich er durch ein äußerst sündhaftes Wesen spricht. Wenn Henry den Thron besteigen und sie ihn heiraten würde, dann wäre sie tatsächlich Königin. Wie sollte sie es sonst werden?
«Und da war noch etwas», schiebt Lewis vorsichtig nach. «Als ich die Königin gefragt habe, welche Pläne sie für die Prinzen im Tower habe, für Edward und Richard, antwortete sie: ‹Es ist nicht Richard.›»
«
Was
hat sie gesagt?»
«Sie hat gesagt: ‹Es ist nicht Richard.›»
«Was hat sie damit gemeint?»
«In ebenjenem Moment ist die Prinzessin mit dem durchnässten Kleid vom Fluss heraufgekommen und hat alles gewusst: dass der Herzog auf breite Zustimmung stößt und dass ihre Familie enterbt ist. Und dann hat sie hinzugefügt, sie würde Königin werden.»
«Habt Ihr die Königin denn nicht gefragt, was sie mit ‹Es ist nicht Richard› gemeint hat?»
Er schüttelt den Kopf, dieser Mann, der alles gesehen hat, aber nicht genug Verstand besitzt, die entscheidende Frage zu stellen. «Habt Ihr Euch nicht gedacht, es könnte ziemlich wichtig sein?», fahre ich ihn an.
«Es tut mir leid. Als die Prinzessin hereinkam, war sie so … war sie wie aus einer anderen Welt. Und dann sagte ihre Mutter, dass sie jetzt an einem trockenen Ort seien, dass die Flut aber bald wiederkäme. Sie waren furchteinflößend. Wisst Ihr, was sie über ihre Abstammung sagen? Ihre Ahnin sei eine Wassergöttin gewesen. Wäret Ihr dort gewesen, so hättet Ihr vermeint, eine Wassergöttin sei den Fluten der Themse entstiegen.»
«Schon gut», grolle ich. «Ich sehe, dass sie Euch Furcht eingeflößt haben, aber haben sie sonst noch etwas gesagt? Hat die Königin von ihren Brüdern gesprochen, die sich retten konnten? Wo sie sind oder was sie vorhaben? Die beiden sind mächtig genug, das halbe Königreich auszuheben.»
Er schüttelt den Kopf. «Nein, nichts dergleichen. Aber sie wurde sehr aufmerksam, als ich ihr ausgerichtet habe, Ihr würdet den jungen Prinzen helfen zu entkommen. Ich bin sicher, dass sie so etwas schon geplant hat, bevor sie erfuhr, dass Richard den Thron an sich gerissen hat. Sie wird verzweifelt sein.»
Ich entlasse ihn mit einer Geste, eile in unsere kleine Kapelle und sinke auf die Knie. Ich erbitte den Frieden Gottes, um meinen Geist von diesem Gedankenwirbel zu befreien. Prinzessin Elizabeth kennt ihre Bestimmung. Das bestätigt meinen Glauben, dass sie Henrys Frau wird und er den Thron besteigt. Doch die Worte ihrer Mutter – ‹Es ist nicht Richard› – erfüllen mich mit großer Sorge.
Was kann sie damit meinen? Befindet sich ihr Sohn Richard gar nicht im Tower? Oder meint sie vielleicht nur, dass es nicht Richard of Gloucester ist, vor dem sie sich fürchtet? Wie soll ich es erraten? Dieser Narr hätte sie fragen müssen. Allerdings habe ich etwas in dieser Art schon vermutet, es hat schon eine Weile an mir genagt. Nie hätte ich sie für eine solche Närrin gehalten, ihren zweiten Sohn dem Feind auszuliefern, der den ersten entführt hat. Ich kenne sie seit zehn Jahren, so blauäugig ist sie nicht. Als ich hörte, der Kronrat habe sie aufgesucht, er habe ihr keine Wahl gelassen und sei mit dem kleinen Prinzen Richard an der Hand des Erzbischofs fortgegangen, ahnte ich schon, dass sie etwas getan hatte, um ihren letzten freien Sohn in Sicherheit zu bringen. Jede Frau würde das tun. Es mangelt ihr nicht an Entschlossenheit und Klugheit, und sie liebt ihre Söhne abgöttisch. Nie würde sie sie sehenden Auges der Gefahr ausliefern. Nie würde sie den jüngeren Sohn dorthin schicken, wo bereits dem älteren Gefahr droht.
Aber was hat sie getan? Wenn der zweite Prinz im Tower nicht Richard ist, wer ist er dann? Hat sie einen armen Jungen verkleidet? Vielleicht ein minderjähriges Mündel, das alles für sie tun würde? Und schlimmer noch, wenn Prinz Richard, der legitime Thronerbe, nicht im Tower von London hinter Schloss und Riegel ist, wo ist er
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