Der Thron der roten Königin
schnappen. Er schaut nicht zu mir auf und auch nicht zu dem Pferd. Er erweckt den Eindruck eines Mannes, der neben einer begabten Reiterin herschlendert, als wollte er ihr Gesellschaft leisten. Erst als ich ein gutes Stück die Straße hinuntergeritten bin, fragt er: «Würdest du ihn jetzt wenden und nach Hause reiten?»
«Wie macht man das?»
«Du wendest seinen Kopf, indem du sacht am Zügel ziehst. Er weiß, was du meinst. Und du übst etwas Druck mit dem Bein aus, damit er weiß, dass er weitergehen soll.»
Ich zupfe kaum am Zügel, da wendet das Pferd den großen Kopf, dreht sich um und schreitet gemächlich nach Hause. Mühelos bewegt es sich den Hügel hinauf, und dann lenke ich Arthur durch den Hof zu den Ställen. Er stellt sich neben den Aufsitzblock und wartet darauf, dass ich absitze.
Jasper hilft mir herunter und steckt mir einen Brotkanten zu, den ich dem Pferd geben soll. Er zeigt mir, wie ich ihn Arthur mit der flachen Hand hinhalten soll, damit er den Leckerbissen mit seinen weichen Lippen finden kann, und dann ruft Jasper nach einem Stalljungen, der das Pferd wegbringen soll.
«Möchtest du morgen wieder reiten?», fragt er. «Ich könnte dich auf meinem Pferd begleiten, dann könnten wir weiter reiten. Vielleicht hinunter an den Fluss.»
«Sehr gern», sage ich. «Gehst du jetzt ins Kinderzimmer?»
Er nickt. «Normalerweise ist Henry um diese Zeit wach. Dann erlauben sie mir, die Windeln zu entfernen, damit er ein Weilchen mit den Beinen strampeln kann. Er mag es, wenn er frei ist.»
«Du hast ihn sehr gern, nicht wahr?»
Er nickt befangen. «Henry ist alles, was mir von Edmund geblieben ist», sagt er. «Er ist der Letzte von uns Tudors. Er ist das Kostbarste in der ganzen Burg. Und wer weiß? Eines Tages ist er vielleicht das Kostbarste in ganz Wales, womöglich sogar in England.»
***
In Henrys Kinderzimmer sehe ich, dass Jasper ein willkommener und regelmäßiger Besucher ist. Er hat seinen eigenen Stuhl, auf dem er zusieht, wie der Kleine langsam aus den Windeln gewickelt wird. Er schreckt nicht vor dem Geruch der schmutzigen Windel zurück und wendet auch nicht das Gesicht ab. Vielmehr untersucht er das Gesäß des Kleinen sorgfältig auf Zeichen von Röte oder Wundsein, und als sie ihm sagen, dass sie ihn, wie er es befohlen hat, mit dem Öl aus dem Schafsfell eingerieben haben, nickt er und ist zufrieden. Und als Henry sauber ist, breiten sie eine warme Wolldecke über Jaspers Knie, auf die er den Kleinen auf den Rücken legt und ihn an seinen winzigen Füßen kitzelt und auf seinen nackten Bauch pustet. Henry strampelt und krümmt sich vor Freude über so viel Freiheit.
Ich sehe ihnen zu wie eine Fremde und fühle mich seltsam fehl am Platze. Dies ist mein Sohn, aber so gelöst gehe ich nicht mit ihm um. Unbeholfen knie ich mich neben Jasper, um eine der kleinen Hände zu nehmen und die winzigen Fingernägel zu betrachten, die Falte in der pummeligen Handfläche und die zarten Linien um das mollige Handgelenk. «Er ist wunderschön», staune ich. «Aber hast du nicht Angst, ihn fallen zu lassen?»
«Warum sollte ich ihn fallen lassen?», fragt Jasper. «Wenn überhaupt, dann verwöhne ich ihn höchstens mit meiner Aufmerksamkeit. Deine Gouvernante sagt, ein Kind sollte man allein lassen und nicht jeden Tag mit ihm spielen.»
«Sie würde alles sagen, wenn sie dann länger beim Abendessen sitzen oder in ihrem Sessel schlafen könnte», gebe ich bissig zurück. «Sie hat meine Mutter überredet, mir keinen Lateinlehrer zu gewähren, denn sie wusste, dass sie dann mehr Arbeit hätte. Ich werde nicht erlauben, dass sie ihn auch unterrichtet.»
«O nein», sagt Jasper. «Dein Sohn bekommt einen richtigen Gelehrten. Wir holen jemanden von einer der Universitäten, vielleicht aus Cambridge. Jemand, der ihm in allem, was er lernen muss, gute Grundlagen vermitteln kann. Die modernen Themen wie auch die klassischen: Geographie und Mathematik sowie Rhetorik.»
Er beugt sich vor und drückt Henry einen schmatzenden Kuss auf seinen kleinen warmen Bauch. Der Kleine gurgelt vor Vergnügen und wirft die Hände in die Luft.
«Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass er den Thron erbt, weißt du», erinnere ich ihn meiner Überzeugung zum Trotz. «Er muss nicht die Bildung eines Prinzen erhalten. Auf dem Thron sitzt der König, nach ihm kommt Prinz Edward, und die Königin ist jung, sie kann leicht noch Kinder bekommen.»
Jasper legt dem Jungen eine kleine Serviette übers Gesicht und zieht
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