Der Thron der roten Königin
König sich (nicht zum ersten Mal) täuscht. Ich würde Stanley nicht weiter trauen, als ich ihm mit Blicken folgen kann, und wenn ich ihm vertraute, dann würde ich dennoch seinen Bruder im Auge behalten. Sie haben die Tendenz, sich auf gegnerische Seiten aufzuteilen, um dafür zu sorgen, dass einer aus der Familie immer bei den Siegern ist. Ich kenne ihn als stolzen Mann, kalt und berechnend. Wenn er auf meiner Seite wäre, hätte ich einen mächtigen Verbündeten. Wenn er Henrys Stiefvater wäre, könnte ich hoffen, meinen Sohn nach Hause holen zu dürfen und in seinen Titeln wiedereingesetzt zu sehen.
Da ich weder Mutter noch Vater habe, die mich vertreten können, muss ich mich selbst an ihn wenden. Ich bin zweimal verwitwet, eine Frau von bald dreißig Jahren. Es ist wohl an der Zeit, dass ich mein Leben selbst in die Hand nehme. Sicher, ich weiß, dass ich noch ein ganzes Trauerjahr hätte warten sollen, bevor ich an ihn herantrete, doch sobald mir sein Name in den Sinn gekommen ist, fürchte ich, wenn ich zu lange zögerte, könnte die Königin ihn mir fortschnappen und so verheiraten, dass es ihrer Familie von Nutzen ist. Abgesehen davon soll er Henry so schnell wie möglich nach Hause holen. Ich bin keine Müßiggängerin, die jahrelang Zeit hat, um über ihren Plänen zu brüten. Ich will, dass die Dinge hier und jetzt erledigt werden. Ich besitze nicht die unrechtmäßig erworbenen Vorteile der Königin, eine Schönheit zu sein und über Hexenwerk zu verfügen, ich muss meine Arbeit redlich und schnell verrichten.
Außerdem kam mir sein Name in den Sinn, als ich auf Knien in der Kapelle betete. Die Muttergottes selbst hat mich zu ihm geführt. Es ist Gottes Wille, dass ich mich diesmal nicht auf John Leyden verlasse. Johanna von Orléans hat sich auch keinen Mann gesucht, der die Arbeit für sie getan hat, sie ist selbst in die Schlacht hinausgeritten. Also schreibe ich Stanley und schlage ihm möglichst schlicht und ehrlich die Heirat vor.
Ein paar Nächte lang sorge ich mich, er könnte sich angewidert abwenden, weil ich ihm meine Pläne so offen unterbreite. Dann fällt mir Elizabeth Woodville ein, wie sie unter einer Eiche auf den König von England wartete, als stünde sie ganz zufällig am Wegesrand, eine Hexe, die ihren Zauberbann auswarf, und ich denke, dass ich ihm wenigstens ein rechtschaffenes Angebot gemacht habe und nicht um einen amourösen Blick gebettelt und meine abgegriffenen Waren auf hurenhafte Weise feilgeboten habe. Endlich schickt er mir seine Antwort. Sein Haushofmeister wird sich mit dem meinen in London treffen, und wenn sie sich über einen Ehevertrag einigen können, wäre er hocherfreut, so bald wie möglich mein Gemahl zu werden. Sein Schreiben ist so schlicht und kalt wie ein Kaufvertrag, kühl wie ein Apfel aus der Speisekammer. Wir haben eine Übereinkunft, doch selbst mir fällt auf, dass es sich gar nicht nach einer Hochzeit anfühlt.
Erst verhandeln unsere Haushofmeister, dann die Gutsverwalter und zu guter Letzt die Anwälte. Sie streiten sich, und dann werden sie sich einig, dass wir im Juni heiraten sollen. Es ist keine geringe Entscheidung für mich – zum ersten Mal im Leben habe ich als Witwe meine eigenen Ländereien in meinem Besitz, und sobald ich vermählt bin, wird alles an Lord Stanley übergehen. Ich habe alle Hände voll zu tun, so viel wie möglich vor dem Gesetz zu retten, das besagt, dass eine Ehefrau keine Rechte hat. Ich behalte, so viel ich kann, aber ich weiß wenigstens, dass ich meinen Herrn selbst ausgewählt habe.
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Juni 1472
W ir treffen uns erst am Tag vor der Hochzeit in meinem Haus in Woking – das fortan sein Haus ist. Umso besser, dass ich ihn gut gebaut finde, mit einem langen, gebräunten Gesicht, schütterem Haar, stolzer Haltung und prächtig gekleidet. Der Wohlstand der Stanleys zeigt sich in seiner Wahl bestickter Stoffe. Nichts, was meinem Herzen einen Stich versetzt, doch darauf lege ich gar keinen Wert. Ich will einen Mann, auf dessen Falschheit ich mich verlassen kann. Einen Mann, der vertrauenswürdig aussieht, es aber nicht ist. Ich will einen Verbündeten und Mitverschwörer, einen Mann, dem das doppelte Spiel leichtfällt. Als ich seinen ruhigen Blick sehe und sein schiefes Lächeln und seine Aura von Überheblichkeit, denke ich: Ich habe ihn gefunden.
Bevor ich zu ihm hinuntergehe, betrachte ich mein Spiegelbild, und wieder einmal spüre ich die fruchtlose Verärgerung über die York-Königin
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