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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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das Seil in der Leiter zu verhaken und sie herunterzuziehen», sagte Hero.
    «Nicht ganz. Die Leiter war schwer und die Öffnung zu klein, um sie hineinzuziehen. Das Beste, was ich erhoffen konnte, war, dass es mir gelänge, die Leiter über die Öffnung zu ziehen, um sie als Balken benutzen zu können. Ich versuchte es mindestens hundertmal. Die meisten Würfe verfehlten die Öffnung ganz, und manchmal traf mich das beschwerte Ende beim Herunterfallen. Denk daran, wie schwach ich war und dass ich im Halbdunkel stehend eine Öffnung von höchstens zwei Fuß Durchmesser zu treffen versuchte. Ein paar wenige Male traf der Stein die Leiter, doch nur, um an dem Holz abzuprallen. Nur einmal verhakte er sich, löste sich aber sofort wieder, als ich zu ziehen begann. Mein Nacken und mein Rücken schmerzten von der Anstrengung. Ich war beinahe froh, als es Nacht wurde und ich nicht weitermachen konnte. Ich ließ mich völlig erschöpft mit dem Rücken an einer Wand in die Hocke gleiten. Ich hatte zwei Tage lang nichts gegessen, und ich fror jämmerlich. Sommer oder Winter, in meiner Zelle war es kalt wie in einem Grab. In der Nacht wachte ich ständig in der Überzeugung auf, dass dies auch meine letzte Nacht wäre, und irgendwann überkam mich eine Art Frieden. Das Ende war nahe, und ich freute mich beinahe darauf. In dieser resignierten Stimmung wachte ich am Morgen auf und sah, wie die Helligkeit die Umrisse der Öffnung über mir hervortreten ließ.»
    Vallon zuckte mit den Schultern. «Ich kann mich nicht einmal mehr an meinen letzten Wurf erinnern. Aber als ich danach an dem Seil zog, hielt es. Ich zerrte daran, um es von der Leiter zu lösen, und dieser falschen Hoffnung ein rasches Ende zu bereiten. Es hielt. Ich hängte mich mit meinem ganzen Gewicht daran. Die Leiter verrutschte ein Stück und rührte sich dann nicht mehr. Sie hatte sich an der Falltür verklemmt. Als sich das Seil nicht und nicht lösen wollte, ging ich zur Zellenwand zurück, hockte mich auf den Boden, und starrte an dem Seil hinauf. Jetzt, wo meine Chance gekommen war, wagte ich nicht, sie wahrzunehmen.
    Es war schon später Vormittag, als ich mich dazu zwang, das Seil fest zu packen. Bei meinem ersten Versuch kam ich kaum vom Boden hoch, bevor ich wieder abrutschte. Ich versuchte es erneut, rutschte erneut zurück. Ich wurde wütend auf mich selbst. Jeder Moment, den ich vergeudete, war ein Moment weniger, bevor mein Wärter auftauchen würde. Ich betete mir vor, dass sich eine solche Chance kein zweites Mal ergeben würde. Dass ich, wenn ich jetzt nicht entkam, in ein paar Tagen tot wäre. Erneut packte ich das Seil, und es gelang mir, zwei oder drei Fuß daran hochzuklettern, bevor mich die Kräfte verließen. Da hing ich und stützte mich mit den Füßen auf einen Knoten, bis ich mich genügend erholt hatte, um weiterzumachen. Und auf diese Art, Zoll für Zoll und Fuß um Fuß, kam ich bis nach oben zu der Öffnung.»
    Hero klatschte in die Hände.
    «Ich kroch in die Kammer. Sie wurde von einem schmalen Fenster hoch oben in der Wand erhellt. Ich ging die Treppe zu der Tür hinauf. Sie war abgeschlossen und verriegelt. Als ich mein Ohr an die Tür legte, hörte ich nichts. Also wartete ich einfach auf der obersten Stufe ab und war beinahe eingeschlafen, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Schnell versteckte ich mich in dem Winkel hinter der Tür. Mein Wärter schob die Riegel zurück und kam herein.»
    «Ihr habt ihn getötet.»
    «Es ging schnell – schneller als der Tod, der ihn von der Hand des Emirs erwartet hätte. Ich nahm sein Schwert und sein Messer, stieß seine Leiche in meine Zelle und klappte die Falltür zu. Dann ging ich hinaus und schloss die Tür hinter mir ab.
    Ich befand mich in einem Lagerhaus voller Wein, Mais und Öl. Am anderen Ende stand in einer schweren Doppeltür eine Luke aus Flechtwerk halb offen. Ich hatte beinahe ein Jahr lang die Sonne nicht gesehen, und das Licht blendete mich. Als ich wieder etwas sah, stellte ich fest, dass auf dem Festungshof lebhaftes Treiben herrschte. Es war ein wolkenloser Morgen. Ich dachte, es wäre Anfang September, in Wahrheit aber hatten wir schon fast Oktober.
    Zwei Bauern mit Maultieren gingen auf die Doppeltür zu. Hinter dem Eingang stand ein Karren, der mit Weinfässern beladen war. Ich klopfte auf die Dauben und entdeckte, dass die Fässer leer waren. Mir blieb gerade noch genug Zeit, um in ein Fass zu steigen und den Deckel über mich zu ziehen, bevor die Fuhrmänner

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