Der Thron der Welt
Raul die Mütze vom Kopf und betrat die Kirche. Wayland duckte sich hinter ihm hinein und bekreuzigte sich. Die Sonne strahlte durch die Fenster und beschien die Gemeindeversammlung rechts und links des Mittelgangs. Einige der Leute lehnten an Säulen, andere standen aufrecht, und die meisten saßen auf dem mit Binsenstroh bestreuten Boden. Viele schienen zu schlafen. Zwei Bauern, die ganz hinten in der Kirche saßen, stießen ihre Nachbarn an, um sie auf Raul und Wayland aufmerksam zu machen. Die Warnung breitete sich aus, bis die ganze Gemeinde aufgestanden war und sie anstarrte. Raul legte einen Finger auf die Lippen. Nur der Priester am Altar hatte ihre Anwesenheit nicht bemerkt. Mit geschlossenen Augen und zurückgelegtem Kopf fuhr er damit fort, kaum hörbar die Messgebete zu murmeln. Waylands Blick hob sich zu der Gewölbedecke, die in tiefen Schatten lag. Dann betrachtete er das Wandgemälde vom Jüngsten Gericht, das Christus auf seinem Thron zeigte, die Gerechten mit Engelsflügeln zu seiner Rechten, die Sünder nackt und verängstigt zu seiner Linken, und unter ihnen die Verdammten, die ins ewige Höllenfeuer geworfen wurden. Er dachte an seine Familie in ihren namenlosen Gräbern.
Das dumpfe Gebetsgeleier erstarb. Der Priester kam zur Tür des Lettners und warf einen ärgerlichen Blick auf seine Schäfchen. «Bei seinem letzten Besuch», sagte er, «hat mich euer weltlicher Herr mit einer Beschwerde über diese Gemeinde zu sich bestellt. Er ist zutiefst verstimmt von die Sünde der Faulheit, der sich viele von euch ergeben haben.»
Raul stieß Wayland an. «Verdammt, bestimmt will er ihnen eine ewig lange Moralpredigt halten. Du behältst die Leute im Auge.» Der Deutsche stürmte den Mittelgang hinauf.
Der Priester starrte ihm erschrocken entgegen. «Wer bist du?»
«Tretet zur Seite. Ich werde an Eurer Stelle die Predigt halten, das wird uns Zeit sparen und genauso gut helfen, ein paar Seelen zu retten.»
«Faulheit», sagte er und ließ das Wort im Kirchenschiff widerhallen. «Die Faulheit ist der Feind jedes Vorhabens und der Blutsauger des Gewinns. Ich und mein Gefährte wurden von unserem Hauptmann ausgesandt, um zwei oder drei Männer anzuwerben, die uns auf unserer Handelsreise begleiten sollen. Wir suchen nach starken, entschlossenen Männern, bevorzugt nach solchen, die schon Erfahrungen im Kampf und auf Segelschiffen gemacht haben. Wir haben diese Gemeinde aufgesucht, weil wir gehört haben, dass hier viele tapfere Männer wohnen.»
Wayland, der von der Tür aus zusah, schüttelte den Kopf. Mit seiner fremdartigen Schläfenlocke, dem verfilzten Bart und der verdreckten Jacke sah Raul aus wie der Überrest einer geschlagenen Barbarenhorde. Und er stank wie ein Iltis.
Raul ließ ein paar Münzen klimpern. «Einen Halfpenny für jeden Tag, den ihr bei uns dient, einschließlich Ruhetage und Feiertage. Und außerdem», sagte er und hob einen Finger, als wolle er die Gemeinde segnen, «volle Verpflegung. Ihr werdet keinen Penny von eurem Lohn für Bett und Tisch ausgeben müssen.» Er führte den Trick vor, bei dem er eine Münze verschwinden ließ. «Und das ist immer noch nicht alles. Jeder Gewinn, den wir machen, wird aufgeteilt. Gerechte Anteile für alle. Stimmt das etwa nicht, Wayland?»
Die versammelte Gemeinde drehte sich um und gaffte Wayland an.
«Ihr werdet gut bezahlt und gut behandelt.»
«Habt ihr das gehört? Das Wort eines Engländers.» Raul grinste breit. «Es ist klar, dass wir nicht jeden nehmen. Wir sind wählerisch. Aber für zwei oder drei, die sich nicht vor ehrlicher Arbeit scheuen, ist das die Gelegenheit, im Leben weiterzukommen.»
Die Leute nickten und tauschten Bemerkungen aus. Wayland fing an zu glauben, dass Raul Erfolg haben könnte.
«Wie weit segelt ihr?», fragte jemand.
«So wie es aussieht, seid ihr zur Ernte im Herbst wieder da. Nicht, dass ihr euch dann noch mal auf den Feldern schinden müsstet – nicht bei eurem Anteil Silber.»
«Wie weit?»
«Richtung Norden.»
«Wohin im Norden?»
Raul funkelte den Fragesteller wütend an. «Orkney.»
Die Kirchgänger schoben ihre Unterlippen vor und zuckten mit den Schultern. «Liegt das am anderen Flussufer?», fragte einer.
«Klar, du Hohlkopf», schnaubte jemand. «Auf dieser Seite des Humbers gibt es schließlich kein Orkney.»
«Es ist weiter nördlich als der Humber», räumte Raul ein. «Nicht sehr weit.»
Eine Schwalbe tauchte zur Tür herein, verfehlte Waylands Kopf nur knapp und schwang
Weitere Kostenlose Bücher