Der Thron der Welt
vorbei, als sie wieder absegelten. Sie hielten sich möglichst dicht an den zerklüfteten Küstenklippen, von denen Wildtauben mit rauschendem Flügelschlag flohen, um nach einer Kehre über dem Schiff wieder auf ihren Felsen herabzuflattern. Rußschwarze Vögel nicht größer als Schwalben flitzten über dem Kielwasser der
Shearwater
und trippelten mit den Krallenfüßen über die Wasseroberfläche, als seien sie zu schwach, um sich in der Luft zu halten.
«Mutter Careys Hühner», sagte Raul. Dann sah er, dass Vallon mit dem Ausdruck nichts anfangen konnte. «Mutter Carey ist die Meereskönigin. Sie sitzt auf dem Grund und kämmt ihr langes, grünes Haar mit den Rippenbögen ertrunkener Seemänner.» Raul nickte in Richtung des Lotsen, der im Bug stand und zu den hintereinander gestaffelten Landspitzen im Norden hinübersah. Leise fuhr er fort: «David hatte drei Söhne, und die See hat sich jeden einzelnen genommen. Zwei in einem Sturm, den anderen, als ein Fischerboot verunglückte. Sie haben nur einen der Toten wiedergefunden, und dessen Aussehen hatten die Krabben nicht gerade verbessert.»
Vallon sagte nichts darauf. Raul hockte sich so vor ihn, dass Snorri ihre Gesichter nicht sehen konnte. «Hauptmann, wir müssen bald handeln. Nickt mir einfach zu. Ich tue es heute Nacht. Niemand wird es mitbekommen. Morgen früh ist Snorri verschwunden, und am Abend haben ihn alle längst vergessen.»
«Ich werde kein Menschenleben aufgrund eines bloßen Verdachts geringschätzen.»
«Hauptmann, Ihr wisst, dass es mehr ist als ein Verdacht.»
«Wir müssen in Orkney unsere Vorräte auffüllen, und wir werden verhaftet, wenn Snorri nicht bei uns ist. Du tust nichts ohne meinen Befehl.» Vallon schob sich an Raul vorbei, um deutlich zu machen, dass die Diskussion beendet war.
Zwei Tage später setzten sie unter einzelnen Sonnenstrahlen, die durch die Wolkenlücken fielen, über die Meerenge zwischen dem Festland und den Orkney-Inseln. Auf der See türmten sich Wellenberge. Kurz waren über den Wellenkämmen Teile der Inselgruppe zu sehen, dann verschwanden sie wieder, während die
Shearwater
in das nächste Wellental hinabtauchte. David hatte die Überfahrt so geplant, dass sie den heftigsten Gezeitenströmungen, die durch die Passage zogen, nicht ausgesetzt waren. Doch auch so schlingerte und krängte die
Shearwater
in den Gegenströmungen und wechselseitig gegen das Schiff laufenden Brechern. Sie umfuhren einen Strudel, der David zufolge von einer Seehexe aufgepeitscht wurde, die auf einer riesenhaften Mühle das Salz für die Weltmeere mahlte. Im Osten glitt eine langgestreckte Insel vorbei. Tristes Sumpfland, unterbrochen von grünen Weiden, und gelegentlich eine Torfhütte. Vom Wind gebeugte Krüppelbäume. Zwei Jungen ritten ohne Sattel auf einem Pferd parallel zu ihnen am Strand entlang, bis hin zu dem Vorgebirge am Ende der Insel, von wo aus sie ihnen nachwinkten, bis sie außer Sicht waren.
Die
Shearwater
segelte zwischen Landspitzen in ein weites Meeresbecken, das von weiteren Inseln umringt war. Die größte erstreckte sich über den gesamten Norden. «Horse Island», sagte Raul. «Kirkwall liegt auf der anderen Seite. David meint, wir brauchen noch den ganzen Tag, um uns um die Insel herumzuarbeiten.»
Vallon fühlte sich von den blitzenden Wellen und den Schiffsschwankungen etwas benommen. «Ich versuche ein bisschen Schlaf zu bekommen.»
Er rollte sich wie ein Hund zusammen und döste unter den Schreien der Möwen ein. Als er leicht tranig wieder aufwachte, fädelte sich die
Shearwater
gerade in eine Fahrrinne zwischen zwei Inseln ein. Delfine schossen pfeilschnell unter Wasser neben dem Schiff her. David und Raul standen im Bug, helle Aureolen bildeten sich jedes Mal hinter ihnen, wenn die
Shearwater
einen Wellenkamm durchbrach. Vallon trank eine Schöpfkelle Wasser und ging nach vorn.
Raul nickte zu der Insel auf der Backbordseite hin. «Sind fast da. Wir sind um Horse Island herum. Kirkwall liegt in einer Bucht am anderen Ende dieses Kanals. Aber denkt dran, Hauptmann, sobald wir an Land sind, kann Snorri bestimmen, wie es mit uns weitergeht.»
«Wir werden nicht in den Hafen einlaufen. Frag David, ob er einen Ankerplatz in der Nähe kennt – eine unbewohnte Insel wäre am besten.»
Vallon beobachtete Snorri, während Raul mit David sprach.
Dann kam Raul zurück. «Ein paar Meilen nördlich des Hafens gibt es eine kleine Insel. Früher haben sie dort Diebe und Hexen ausgesetzt. Jetzt sind nur
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