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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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Falkenblick an. Wayland stand wie erstarrt, und nach wenigen Momenten neigte der Falke den Kopf und packte den Hals der Taube mit dem Schnabel. Wayland war so verblüfft, dass er den Falken ansah. Sofort hob das Tier den Kopf und durchbohrte Wayland erneut mit seinem Blick. Sobald Wayland wegsah, widmete sich der Falke wieder seiner Beute. Er balancierte auf Waylands Faust, als wäre sie eine vertraute Sitzstange, und begann die Taube zu rupfen.
    Unglaublich. Wayland hatte einmal einen Falken abgerichtet, der am ersten Tag seiner Gefangenschaft auf der Faust gefressen und schon nach elf Tagen frei gejagt hatte, doch selbst diese Ausnahme war nicht mit der Gelassenheit dieses Vogels zu vergleichen. Seine Verblüffung verwandelte sich in Besorgnis. Vielleicht war der Falke so zahm, weil er gehungert hatte – ein schwaches Tier, das sich in der Natur nicht ausreichend selbst versorgen konnte. Allerdings sah er durchaus nicht schlecht genährt aus. Die elastischen Federn, die wachen, feucht schimmernden Augen, die safrangelben Füße, die stolze Art zu fressen – ein Bild bester Gesundheit. Langsam hob Wayland die Hand. Der Vogel schlug mit den Flügeln, die Federn unterhalb seines Kopfs wie eine Halskrause gesträubt. Wayland befühlte die Brust des Tieres. Feste Muskulatur, der Brustbeinkamm kaum zu ertasten. Da zwickte ihn der Falke in den Finger, als wollte er sagen: «Du störst mich beim Essen.»
    Als der Falke den größten Teil der Taube gefressen hatte, setzte Wayland ihn mit dem Rest des Kadavers zurück auf den Felsblock. Kopfschüttelnd und grinsend verließ er das Zelt. Wenn er den Vogel nicht selbst mit so viel Aufwand gefangen hätte, dann hätte er geschworen, dass der Falke schon von einem Meisterfalkner gezähmt worden war.
    Er ging zum Ufer, um sich zu erleichtern. Auf seinem Rückweg blieb er mit einem Mal stehen. Syth saß wie eine Erscheinung unter einem Regenbogen, der sich in der stäubenden Gischt des Wasserfalls gebildet hatte, und schob glühende Holzscheite um die Steine in dem Feuer zusammen. Er ging zu ihr.
    «Was tust du da?»
    «Das wirst du schon noch sehen.»
    Stirnrunzelnd betrachtete er den verhängten Kegel aus Weidenrutengeflecht. Darin steckte eine Menge Arbeit.
    «Das ist eine Überraschung», erklärte ihm Syth. «Willst du vorher essen?»
    «Das kannst du entscheiden.»
    «Iss danach», sagte sie. Sie berührte sein Gesicht und musterte seine Narbe. «Wie fühlt es sich an?»
    Er legte den Handrücken auf die Wunde. «Heiß. Und es juckt.»
    «Ein Teil davon ist geschwollen. Ich glaube, der Faden sollte raus. Gib mir dein Messer.»
    Sie hieß ihn sich hinsetzen und durchschnitt den Zwirn an den sichtbaren Stichseiten. Wayland versuchte nicht zusammenzuzucken, wenn sie ein Stück herauszog.
    Sie sah sich den entzündeten Teil der Narbe genau an. «Das tut jetzt vielleicht ein bisschen weh. Das Fleisch ist so geschwollen, dass ich den Zwirn nicht richtig sehen kann.»
    Sie schnitt ihm in die Haut, als sie weitermachte, und Eiter spritzte über ihre Hand.
    Wayland zog ein Gesicht. «Tut mir leid.»
    Syth aber war ganz auf ihre Aufgabe konzentriert. «Ich hatte drei Brüder. Wenn du wüsstest, was ich für die alles tun musste. Beweg dich nicht.» Sie schnitt einige weitere Stiche durch und lehnte sich dann zurück. «Das war’s. Willst du es dir ansehen?»
    Wayland betrachtete mit kläglicher Miene seine Stirn in dem Spiegel. Diese Narbe würde ihm fürs ganze Leben bleiben, aber ohne Syths geschickten Umgang mit der Nadel wäre er noch viel schlimmer verunstaltet.
    «Komm», sagte sie. «Komm schon.»
    Sie führte ihn zum Feuer und deutete auf die eiförmigen Steine. «Du musst sie dort reintragen», sagte sie und deutete auf das Weidenzelt. «Sei vorsichtig. Sie sind sehr heiß.»
    Weil er ein Mann war, musste er das selbst testen, indem er den Finger auf einen Stein legte. Blitzartig zog er die Hand zurück und blies auf den Finger. Syth verdrehte nur die Augen.
    Er wickelte seine Hände in ein Schaffell und trug die glühendheißen Steine in das Weidenzelt. Syth hatte es um zwei flache Steinblöcke herumgebaut und sagte ihm, er solle die Steine dazwischen aufschichten. Neben einem der Steinblöcke stand ein Krug Wasser.
    Als die Steine an Ort und Stelle waren, schob sie ihn hinaus und zog eine Decke über den Eingang. «Wir dürfen sie nicht unnötig abkühlen lassen.»
    Der Hund beäugte sie neugierig und neigte den Kopf zuerst auf die eine, dann auf die andere Seite.

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