Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
sondern auch, weil er wusste, dass der Großherzog die beiden Diebe für die Vormittagsfestivitäten brauchte und über eine längere Verzögerung gar nicht erbaut wäre.
Bald schon kamen sie in Sicht. Zwei Männer – der eine groß und breitschultrig, der andere kleiner und schlanker – in warmen Wintermänteln mit hochgeschlagener Kapuze schlichen langsam um die Biegung und blieben von Zeit zu Zeit stehen, um sich umzuschauen.
»Erinnere mich dran, Seiner Majestät ein Kompliment über den Zustand seiner Kanalisation zu machen«, sagte einer von ihnen spöttisch.
»Immerhin ist der Schmodder wärmer als der Fluss«, erwiderte der andere.
»Ja, wirklich Pech, dass das hier gerade am kältesten Tag des Jahres sein muss. Warum nicht im Hochsommer?«
»Da wäre es zwar bestimmt wärmer, aber stell dir mal den Geruch vor!«
»Apropos Geruch, meinst du, wir sind schon in der Nähe der Küche?«
»Du bist doch der Führer; ich sehe hier gar nichts.«
Wylin schwang den Arm. »Auf sie! Ergreift sie!«
Die Soldaten der Burgwache stürzten aus ihrem Versteck in einem Seitentunnel auf die beiden Männer zu. Von hinten stürmten weitere Männer heran, um ihnen den Rückweg abzuschneiden. Die Soldaten umstellten die beiden mit gezogenem Schwert und erhobenem Schild.
»Vorsicht«, mahnte Wylin, »der Großherzog sagt, die stecken voller Überraschungen.«
»Ich hab auch eine Überraschung für euch«, sagte einer der Soldaten des von hinten gekommenen Trupps, trat auf den größeren der beiden zu und zog ihm den Knauf seinesSchwerts über den Schädel, sodass der Mann prompt zu Boden ging. Ein anderer Soldat schwang seinen Schild, und auch der zweite Mann fiel bewusstlos um.
Wylin seufzte, funkelte seine Untergebenen finster an, zuckte dann aber die Achseln. »Ich wollte sie den Weg eigentlich auf ihren eigenen Beinen machen lassen, aber so geht’s auch. Fesselt sie, knebelt sie und schleppt sie in den Kerker. Und richtet sie um Maribors willen auf, eh sie ersaufen. Braga will sie lebend.« Die Soldaten nickten und machten sich an die Arbeit.
***
»Diese Sitzung des Hochgerichts von Melengar wurde ordnungsgemäß einberufen, um Anschuldigungen zu prüfen, die der Großkanzler von Melengar, Großherzog Percy Braga, gegen Prinzessin Arista erhebt.« Die kräftige Stimme des Gerichtsvorsitzenden dröhnte durch den Saal. »Die Anklage gegen Prinzessin Arista lautet auf Hochverrat, Mord an ihrem Vater und ihrem Bruder sowie Ausübung von Hexerei.«
Der größte Raum des Schlosses, der Thronsaal von Melengar, hatte eine Gewölbedecke und Buntglasfenster, und an den Wänden reihten sich die Wappenschilde der Adelsgeschlechter des Königreichs. Sitzbänke und Emporen waren dicht mit Zuschauern gefüllt. Die Adligen und die wohlhabenden Kauf leute der Stadt drängten sich, um dem Prozess gegen die Prinzessin beizuwohnen. Draußen hatte sich seit Tagesanbruch eine Menge gemeines Volk versammelt; man wartete im Schnee, dass Boten von dem Geschehen drinnen berichteten. Eine Wand von gepanzerten Soldaten hielt die Leute auf Abstand.
Das Gericht selbst bestand aus einer tribünenartigen Anordnung von Armstühlen, auf denen die höchsten Adligendes Königreichs saßen. Einige Sitze waren leer, doch für Bragas Zwecke waren genügend Edelleute anwesend. Noch immer fröstelnd von der Morgenkälte, hüllten sich die meisten in Schulterpelze, während sie darauf warteten, dass das Feuer im großen Kamin den Raum erwärmte. Vorn stand der leere Thron wie eine düstere Mahnung, worum es bei diesem Prozess ging. Das Urteil konnte darüber mit entscheiden, wer als Nächster dort sitzen und die Geschicke des Königreichs lenken würde.
»Dieser Gerichtshof, bestehend aus Männern von hervorragendem Ruf und Verstand, wird jetzt die Anschuldigungen und die Beweisführung hören. Möge Maribor uns allen Weisheit verleihen.«
Der Gerichtsvorsitzende setzte sich, und ein pummeliger Mann mit einem kurzen Bart um den kleinen Mund stand auf. In einer teuer aussehenden, wallenden Robe ging er vor dem Gericht auf und ab und musterte jeden Einzelnen eingehend.
»Hohe Gerichtsherren«, sagte der Rechtsgelehrte mit einer theatralischen Armbewegung zur Tribüne hin. »Inzwischen ist Euch allen bekannt, dass unser guter König Amrath vor sieben Tagen hier in diesem Schloss ermordet wurde. Und Ihr dürftet auch wissen, dass Prinz Alric verschwunden ist. Allem Anschein nach wurde er entführt und ermordet. Aber wie kann so etwas innerhalb der
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