Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Alric entkommen ist, hat er es sich leider anders überlegt und beschlossen, sie hinrichten zu lassen. Ich dachte schon, ich würde die Früchte meiner ganzen Mühen nie zu sehen bekommen, doch dann kamst du. Das ist so nett von dir.«
»Jede Falle hat ihren Schwachpunkt«, sagte Royce. Er blickte wieder die Stufen hinauf und lächelte plötzlich. Geduckt sprang er zwei Stufen auf einmal hinauf. Die mittlere Stufe löste sich und fiel ins Nichts, aber seine Ausgangsstufe war noch da. »Wenn die Stufe darüber nicht betreten wurde«, resümierte Royce, »ist die Stufe dort jetzt sicher, richtig?«
»Sehr schlau«, erwiderte der Zwerg hörbar enttäuscht.
Royce nahm weiter jeweils zwei Stufen auf einmal, bis er um die Krümmung der Treppe und für den Zwerg nichtmehr sichtbar war. In dem Moment rief Magnus: »Das nützt dir nichts. Das Loch ganz unten ist immer noch zu groß, um es zu überspringen. Du bist trotzdem gefangen!«
***
Arista saß, die Arme um die Knie geschlungen, auf ihrem Bett, als sie draußen vor ihrer Tür plötzlich jemanden hörte. Bestimmt dieser schreckliche Zwerg oder Braga selbst, der sie in den Gerichtssaal holen wollte. Sie hörte ein Kratzen und ab und zu einen dumpfen Schlag. Zu spät erst fiel ihr ein, dass sie die Tür nicht wieder mit ihrem Edelstein verschlossen hatte. Als sie gerade hinschlich, schwang die Tür auf. Zu ihrem Erstaunen war es weder Braga noch der Zwerg. Vielmehr stand da in der Tür einer der Diebe aus dem Kerker.
»Prinzessin«, sagte Royce mit einem respektvollen, wenn auch knappen Nicken. Er trat rasch an ihr vorbei ins Zimmer und schien irgendetwas zu suchen: Sein Blick wanderte über Wände und Decke.
»Du? Was machst du hier? Ist Alric noch am Leben?«
»Alric geht es gut«, sagte Royce, während er umherging. Er sah aus den Fenstern und inspizierte den Stoff der Vorhänge. »Hm, so klappt es nicht.«
»Was willst du hier? Wie bist du hierhergekommen? Wart ihr bei Esrahaddon? Was hat er zu Alric gesagt?«
»Ich bin gerade etwas beschäftigt, Hoheit.«
»Beschäftigt? Womit?«
»Euch zu retten, wenn ich auch zugeben muss, dass ich meine Sache momentan nicht sonderlich gut mache.« Ohne zu fragen, öffnete Royce ihren Kleiderschrank und ging ihre Kleider durch. Dann stöberte er in den Schubladen ihrerKommode.
»Was willst du mit meinen Kleidern ?«
»Ich versuche, eine Möglichkeit zu finden, wie wir hier hinauskommen. Ich habe den Verdacht, dass dieser Turm in wenigen Minuten einstürzen wird, und wenn wir dann nicht draußen sind, sind wir tot.«
»Verstehe«, sagte sie nur. »Warum können wir nicht einfach die Treppe nehmen?« Sie ging vorsichtig zur Tür. »Guter Maribor!«, rief sie aus, als sie sah, dass jede zweite Treppenstufe fehlte.
»Die können wir überspringen, aber die untersten sechs, sieben Stufen sind ganz weg. Es ist zu weit, um mit einem Sprung bis in den Gang zu kommen. Ich hatte gehofft, wir könnten aus dem Fenster auf den Wall springen, aber das scheint der sichere Tod.«
»Oh«, war alles, was sie sagen konnte. Ein Schrei stieg in ihr auf, und sie hielt sich den Mund zu, um ihn nicht entweichen zu lassen. »Du hast recht. Du machst deine Sache nicht sonderlich gut.«
Royce schaute unter ihr Bett, erhob sich dann wieder. »Augenblick, Ihr seid doch eine Zauberin? Esrahaddon hat Euch doch in der Magie unterwiesen. Könnt Ihr etwas tun, damit wir da runterkommen? Uns levitieren oder in Vögel verwandeln oder so etwas?«
Arista lächelte verlegen. »Von Esrahaddon habe ich nicht allzu viel zu lernen vermocht und schon gar nicht Selbstlevitation.«
»Seid Ihr in der Lage, ein Brett oder einen Stein zu levitieren, wo wir dann draufspringen könnten?«
Arista schüttelte den Kopf.
»Und die Vogelnummer?«
»Selbst wenn ich es könnte, was ich nicht kann, würden wirfür immer Vögel bleiben, weil ich uns ja nach der Verwandlung nicht wieder zurückverwandeln könnte.«
»Zauberei entfällt also«, sagte Royce und machte sich daran, Aristas federgefüllte Matratze vom Bett zu ziehen und das darunter gespannte Seilnetz freizulegen. »Dann helft mir, das hier abzumachen.«
»Das Seil reicht nicht den ganzen Turm hinab«, sagte Arista.
»Muss es auch nicht«, antwortete er und zog das Seil aus den Löchern im Bettrahmen.
Der Turm erbebte, und aus dem Dachgebälk kamen Staubkaskaden. Arista hielt den Atem an; ihr Herz hämmerte wild, weil sie bereits mit einem jähen Sturz in die Tiefe rechnete, doch der Turm kam noch einmal
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