Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Leibwächter verbeugte sich, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Sie trat näher an die Gefangenen heran und musterte sie eingehend. An ihrem Gürtel hing ein juwelenbesetzter Kris. Hadrian erkannte die lange gewellte Klinge: Solche Dolche benutzten die östlichen Okkultisten für magische Rituale. Im Moment allerdings beunruhigte ihn die andere Verwendungsmöglichkeit mehr: die als tödliche Waffe. Sie spielte an dem drachenförmigen Griff herum, als wollte sie das Ding jeden Moment ziehen und damit zustechen.
»Wisst ihr, wer ich bin?«, fragte sie Hadrian.
»Prinzessin Arista Essendon«, antwortete er.
»Sehr gut.« Sie lächelte ihn an. »Und wer seid ihr? Spart euch den Versuch zu lügen. In weniger als vier Stunden seid ihr sowieso tot, wozu also?«
»Hadrian Blackwater.«
»Und du?«
»Royce Melborn.«
»Wer hat euch hierhergeschickt?«
»Ein gewisser DeWitt«, antwortete Hadrian. »Er gehört zu Herzog DeLorkans Leuten aus Dagastan, aber er hat uns nicht hergeschickt, um Euren Vater zu töten.«
»Wozu dann?« Ihre lackierten Nägel klickten auf dem silbernen Dolchgriff herum, während sie die beiden fixierte.
»Um Graf Pickerings Schwert zu stehlen. DeWitt hat gesagt, der Graf habe ihn gestern Abend hier bei einem Gastmahl zum Duell gefordert.«
»Und was wolltet ihr in der Kapelle?«
»Dort behauptete DeWitt das Schwert versteckt zu haben.«
»Aha …« Sie schwieg kurz, weil ihre steinerne Maske bröckelte. Ihre Lippen begannen zu zittern, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wandte sich ab und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie hielt den Kopf gesenkt, und Hadrian sah ihren schlanken Körper beben.
»Hört zu«, sagte Hadrian, »falls es Euch hilft, wir haben Euren Vater nicht getötet.«
»Ich weiß«, sagte sie, noch immer abgewandt.
Royce und Hadrian sahen sich an.
»Ihr wurdet heute Nacht hierhergeschickt, damit man euch den Mord anhängen kann. Ihr seid beide unschuldig.«
»Ist das –«, setzte Hadrian an, unterbrach sich dann aber. Zum ersten Mal seit ihrer Gefangennahme keimte so etwas wie Hoffnung in ihm auf, aber er traute dem Ganzen noch nicht. Zu Royce sagte er: »Ist das Sarkasmus? Du kannst das normalerweise besser beurteilen.«
»Diesmal nicht«, sagte Royce mit angespanntem Gesicht.
»Ich kann nicht glauben, dass er wirklich tot ist«, murmelte Arista. »Ich habe ihm doch vor wenigen Stunden erst einen Gutenachtkuss gegeben.« Sie atmete noch einmal tief durch und straffte sich, ehe sie sich ihnen wieder zuwandte. »Mein Bruder hat feste Pläne mit euch. Ihr sollt gleich am Morgen zu Tode gefoltert werden. Sie bauen schon das Podest auf, um euch auszuweiden und zu vierteilen.«
»Die Details hat uns Euer Bruder bereits erläutert«, sagte Royce betrübt.
»Er ist jetzt der König. Ich kann da nichts machen. Er will euch unbedingt auf diese Art bestraft sehen.«
»Ihr könntet mit ihm reden«, schlug Hadrian optimistisch vor. »Ihr könntet ihm erklären, dass wir unschuldig sind. Ihm das mit DeWitt erzählen.«
Arista wischte sich die Augen mit den Innenseiten derHandgelenke. »Es gibt keinen DeWitt. Gestern war hier weder ein Gastmahl noch ein Herzog von Calis, und Graf Pickering hat dieses Schloss seit Monaten nicht mehr besucht. Doch selbst wenn das alles wahr wäre, würde Alric mir nicht glauben. Kein Mensch in diesem Schloss würde mir glauben. Ich bin ja nur ein Mädchen, das immer so emotional reagiert. Sie würden sagen, ›Sie ist durcheinander. Es war zu viel für sie.‹ Ich kann eure Hinrichtung heute genauso wenig verhindern, wie ich gestern Abend die Ermordung meines Vaters verhindern konnte.«
»Ihr wusstet, dass er sterben würde?«, fragte Royce.
Sie nickte und kämpfte jetzt wieder gegen die Tränen an. »Ich wusste es. Jemand hat mir gesagt, er würde getötet werden, aber ich habe es nicht geglaubt.« Sie hielt kurz inne, um die Gesichter der beiden Gefangenen zu mustern. »Sagt, was würdet ihr tun, um vor dem Morgen lebend aus diesem Schloss hinauszukommen?«
Die beiden sahen sich sprachlos an.
»Ich würde sagen, alles«, sagte Hadrian schließlich. »Und du, Royce?«
Sein Partner nickte. »Ich würde mich dem anschließen.«
»Ich kann die Hinrichtung nicht abwenden«, erklärte Arista, »aber ich kann dafür sorgen, dass ihr aus diesem Kerker herauskommt. Ich kann euch eure Kleidung und eure Waffen wiedergeben und euch erklären, wie ihr in die Abwasserkanäle unter diesem Schloss gelangt. Ich
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