Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Freunde werden?«
»Sagen wir, ich will, dass wir keine Feinde mehr sind.«
»Ich wusste nicht, dass wir je welche waren.«
»Du warst immer eifersüchtig auf mich, seit Mutter dir erklärt hat, dass ältere Töchter nicht Königin werden, solange jüngere Söhne da sind, um König zu werden.«
»War ich nicht.«
»Ich will nicht streiten. Vielleicht will ich wirklich, dass wir Freunde werden. Ich bin jetzt König, und ich brauche deine Hilfe. Du bist nämlich intelligenter als die meisten Minister, das hat Vater immer gesagt. Und du warst an der Universität, im Unterschied zu mir.«
»Vertrau mir, Alric, ich bin dir mehr als nur eine Freundin, ich bin deine große Schwester, und ich werde auf dich aufpassen. Und jetzt geh da rein und stell fest, was dieser Mann zu sagen hat.«
Als Alric die Küche betrat, zog ihm Hadrian den Griff seines Schwerts über den Kopf. Der Prinz sackte zu Boden. Arista stürmte herein.
»Ich habe doch gesagt, ihr sollt ihm nicht wehtun!«, schimpfte sie.
»Sonst würde er jetzt nach den Wachen schreien«, erklärte Hadrian. Er knebelte den Prinzen und stülpte ihm den Sack über den Kopf. Royce war bereits aufgesprungen, um Alrics Fußgelenke zusammenzuschnüren.
»Aber ihm ist doch nichts passiert?«
»Er wird’s überleben«, entgegnete Hadrian, während er die Schlinge um die Fußgelenke des bewusstlosen Prinzen zusammenzog.
»Denkt dran, er war sich sicher, dass ihr seinen Vater getötet habt«, sagte die Prinzessin. »Wie würdet ihr da reagieren?«
»Ich habe meinen Vater nie gekannt«, antwortete Royce gleichgültig.
»Dann eben deine Mutter.«
»Royce ist Waise«, erklärte Hadrian, während sie den Prinzen weiter verschnürten. »Er hat seine beiden Eltern nie gekannt.«
»Das erklärt wohl manches. Dann stellt euch eben vor, wie ihr denjenigen behandeln würdet, der euch heute Abend in die Kapelle geschickt hat, angenommen, ihr fändet ihn. Ich bezweifle, dass ihr da besonders barmherzig wärt. Außerdem habt ihr mir euer Wort gegeben. Bitte tut, worum ich euch ersucht habe, und passt gut auf meinen Bruder auf. Vergesst nicht, dass ich euch heute Abend das Leben gerettet habe. Ich hoffe, das wird euch bewegen, Wort zu halten.«
Sie streckte ihnen das Bündel hin, das ihr Bruder hatte fallen lassen. »Hier ist eine Garnitur Kleidungsstücke, die ihm passen müssten. Sie gehörten dem Sohn des Leibdieners, und ich fand immer, dass er ungefähr Alrics Statur hat. Ah, ja, und zieht ihm den Ring ab, aber hütet ihn gut. Es ist ein Siegelring mit dem königlichen Siegel von Melengar. Dieser Ring weist ihn als den aus, der er ist. Ohne ihn ist Alric nur irgendein Bauer, es sei denn, jemand erkennt sein Gesicht. Gebt ihm den Ring wieder, wenn ihr bei dem Gefängnis seid. Er wird ihn brauchen, um reinzukommen.«
»Wir halten unsere Seite der Abmachung ein«, versicherte ihr Hadrian, während er und Royce den gefesselten Prinzen zu dem Spülbecken schleiften. Royce zog Alric den prächtigendunkelblauen Ring vom Finger und steckte ihn in seine Brusttasche. Dann stieg er in das dunkle Loch hinab. An dem Strick, mit dem Alrics Füße zusammengeschnürt waren, ließ Hadrian den Prinzen kopfüber zu Royce hinunter. Er griff sich die Fackel und ließ sie ebenfalls ins Loch fallen. Dann kletterte er selbst hinein und zog das Gitter wieder an seinen Platz. Am Fuß der Leiter befand sich ein fünf Fuß breiter und vier Fuß hoher Tunnel, in dem ein flaches Rinnsal aus Dreckwasser floss.
»Denkt dran«, flüsterte die Prinzessin durch das Eisengitter. »Ihr müsst ins Gutaria-Gefängnis gehen und mit Esrahaddon reden. Und, bitte, gebt auf meinen Bruder acht.«
***
Unverständliche Laute drangen durch den Kartoffelsack. Royce und Hadrian deuteten sie als Versuche des Prinzen zu schreien und als Ausdruck dafür, dass ihm seine Lage gar nicht behagte.
Das kalte Wasser, das vom Galewyrfluss in den Abwasserkanal drückte, hatte ihn geweckt. Es stand ihnen jetzt bis zur Taille, und wenn der Geruch auch erträglicher geworden war, galt doch für die Temperatur das Gegenteil. Als sie durch die Tunnelöffnung hinausblickten, war da bereits ein Unterschied zwischen dem dunkelbewaldeten Horizont und dem Himmel erkennbar. Die Nacht zog rasch dahin, und sie hörten die Glocken der Mares-Kathedrale, die den Frühgottesdienst ankündigten. Bald schon würde die ganze Stadt wach sein.
Hadrian schloss, dass sie unter dem Hohen Viertel sein mussten, nahe dem Handwerkerviertel, wo die Stadt an
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